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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 31.1912-1913

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Westheim, Paul: Das Pathos der Gärten
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https://doi.org/10.11588/diglit.7010#0209

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ARCHITEKT OTTO LICHTBLAU. CAKTK.N-I'AVI I.I.i >N.

DAS PATHOS DER GÄRTEN.

VON PAUL WESTHEIM.

Der Garten ist ein weithin sichtbares Zeichen
des Machtbewußtseins. Nur der gefestigte
Besitz, der sich durch keine äußere Gewalt,
keine Gesetzesmaßnahmen, keine Kurszettel-
launen bedroht fühlt, gelangt dazu, ein ausge-
dehntes Gelände nach Wunsch und Geschmack
aufzuteilen. Man legt sein Geld nicht so unan-
tastbar fest, wenn man Angst haben muß, eines
Tages ohne Bankkredit dazustehen; man pflanzt
nicht einer Saisonmode zuliebe Blumen und
Büsche; Laubgänge und Baumalleen, die nach
Jahrzehnten erst Schatten spenden, werden
nicht abgesteckt mit dem Gedanken an den Un-
bekannten, der das Ganze einst ersteigern
könnte. Jener Geschlechterwille, der in dem
einzelnen nur ein Bindeglied zwischen Ahnen
und Enkeln sieht, manifestiert sich — bewußt
oder unbewußt — in jeder Gartenanlage großen
Stiles. Sie will heute, wo soziale Instinkte das
Patriarchenbewußtsein auszulöschen scheinen,
nur noch ausnahmsweise gelingen. Es sieht so
aus, als ob unsere Gärtner die Fähigkeit zur

großen Konzeption gänzlich eingebüßt hätten,
nachdem von ihnen tagaus, tagein gefordert
wird, Luxus zum billigsten Submissionspreis zu
liefern. Befangen in allerlei Traditionen, geben
sie sich nicht einmal die Mühe, das Entschei-
dende an den Vorbildern der Vergangenheit zu
erkennen. Die schroffsten Gegensätze: das
Prinzip des romantisch regellosen Landschafts-
gartens und der ornamentalen Gebundenheit
eines Renaissanceparterres vermengen sie ohne
Skrupel. Wie sie überhaupt mit Vorliebe alte
Begriffe aufnehmen, ihnen einen ganz anderen,
ganz falschen Sinn unterschieben und damit
natürlich jegliche Manier zu rechtfertigen im-
stande sind. Man braucht nur die Schriften
dieser Garten-Fachleute durchzublättern. So
haben zum Beispiel im 18. Jahrhundert der
Engländer Barrington, der Franzose de Lille
und andere eine „malerische Gartengestaltung"
verlangt. Darunter wollten sie eine überlegte
Zusammenstellung der Farben und Konturen
der Gewächse, ein malerisches Komponieren

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