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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 31.1912-1913

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Muschner, Georg: Kunstpolitische Fragen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7010#0310

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KUNSTPOLITISCHE FRAGEN.

Kunst und Künstler standen in früheren
Jahrhunderten fast durchwegs außerhalb
der sozialen und volkswirtschaftlichen Verhält-
nisse. Sie waren Blüte der Kultur. Sie waren
auch früher abhängig von materiellen Werten;
ihre Blütezeiten wurden nur ermöglicht durch
reiche Gönner. Diese Gönner waren weltliche
und kirchliche Fürsten und allenfalls reiche Pa-
trizier. Wie die Kunst selber war das Mäzena-
tentum eine Kulturblüte.

Heute sind die Künstler zahlreicher geworden,
aus wenigen Köpfen Zehntausende, Auch die
Künstler sind ein sozialer Stand geworden.
Und die Kunstwerke sind Marktware geworden.
Außerdem ist die Kunst als ein volksbildner-
ischerFaktor erstanden, der in seiner ideellen und
materiellen Seite ökonomisch zu verwalten ist.

Nach langfristigem Notstand in Zeiten, da für
die Kunst wegen anderer Weltsorgen wenig
Interesse vorhanden war; in Zeiten, da die
Verwaltung der Länder und Städte von Fürsten
und Oligarchen überging an demokratische Ver-
treter, war die Kunst und waren die Künstler
so ziemlich vogelfrei und auftragfrei. Mit dem
neuen Wohlstand und mit der neuen Geistes-
regung auf allen Gebieten wuchs die Kunst in
ungeheuere Dimensionen. Es fehlte nicht mehr
an Aufträgen; aber hinzu kam die Konkurrenz.
Der Künstlerstand ist ein sozial bedrängter
Stand, ein volkswirtschaftlich schlechter Stand
geworden. Wir haben heute bereits ein reich-
liches Künstlerproletariat.

Während andere Stände, Arbeiter, Lehrer,
Beamte, sich beizeiten um Verbesserung ihrer
Verhältnisse kümmerten, ist die Künstlerwelt
heute noch fast sorglos ihren Sorgen gegenüber.
Sie sind zum Teil organisiert, nicht nur aus
künstlerischen Rücksichten nach Schulen und
Richtungen, sondern auch schon aus volkswirt-
schaftlicher Fürsorge, in Hinsicht auf geschäft-
lichen Umsatz, auf Hilfe für Altersschwache,
Witwen und Waisen. Doch entsprechen diese
Organisationen weder der Bedeutung der Künst-
lerwelt, noch geben sie genügend Gewähr gegen
die Verelendung des Standes.

Es gibt wohl kaum einen zweiten Beruf, der
so viel vergebliche Arbeit leistet und so große
vergebliche Opfer bringt. Wenn zu einer
großen Kunstausstellung zehntausend Bilder
eingesandt werden, wandern mindestens drei-
viertel, oft mehr, zurück, und Leinwand,
Farben, Rahmen, Transportkosten dieser Über-
zähligen sind, ganz abgesehen von der Mühe-

waltung, vergeblicher Aufwand gewesen. Der
Handwerker kann überschüssige Waren ab-
setzen, die Fabrik, der Verlag kann Restbe-
stände verramschen; die abgelehnten Künstler
drehen die Bilder gegen die Wand, und nur ein
geringer Teil findet noch irgendwie Verwendung.

So kommen wir zu kunstpolitischen Fragen.
Haben dieKunststädte ihrem Rufe entsprechende
fürsorgliche Einrichtungen, die Ausbildung, Vor-
wärtskommen, Absatz einigermaßen garantie-
ren? Sind Akademien und Schulen, Ausstellun-
gen und Kunsthandlungen, Vereine und Organi-
sationen ausreichend — oder verlangen die Ver-
hältnisse der Künstlerwelt weitere Maßnahmen?

Die Organisationen wollen sich vorläufig nicht
um die Massenproduktion, um die volkswirt-
schaftlichen Fragen des ganzen Standes küm-
mern. Aber der Staat und die Städte müssen
wieder, wie einst Fürsten und Patrizier Mäzene
waren aus freiwilliger Leistung, nun aus kul-
turpolitischem Pflichtbewußtsein die Für-
sorge für den Künstlerstand übernehmen helfen.
Die volksbildnerische und kulturelle
Sendung der Kunst ist dafür ausschlaggebend.
Der in den geschaffenen Werken niedergelegte
Reichtum menschlicher Kultur muß systematisch
in die tieferen Schichten getragen werden, da-
mit er dort verarbeitet werden kann und seiner-
seits neue Kulturarbeit leistet. Dazu müssen
die Einrichtungen der Städte und Provinzen
als Hilfsmittel dienen. Auch die Volksbildungs-
vereine sollten mit den Künstlern zusammen-
gehen und nicht bloß Reproduktionen, sondern
Originalwerke in die Provinz tragen. Und die
Künstler selber sollten genossenschaftlich ver-
eint ihre Verkaufsfilialen bis in die Provinz
verschieben. Doch wird die Arbeit an der Ver-
besserung der Lage der Künstler so lange ver-
geblich sein, als die Kunst selber nicht den ge-
bührenden Platz im gesamten Kulturzustand
des Volkes besitzt. Wir müssen dem Künstler
allenthalben Einfluß auf das Kulturbild der
Städte einräumen und Einfluß auf das Kultur-
bild des Staates. Und müssen dem Künstler
die Achtung gebietende Stellung als Berater
und Mitschaffer geben, die er verdient. Erst
wenn die Persönlichkeiten und ihre Geschmacks-
werte, wenn so die Kulturwerte der Kunst zur
offensichtlichen Wirkung kommen und einen
ganz selbstverständlichen Einfluß gewinnen
werden, dann wird ein Aufschwung des Kunst-
marktes und der gesamten sozialen Verhält-
nisse des Standes eintreten, georg muschner.

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