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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 40.1917

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Jessen, Jarno: Florence Jessie Hösel
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https://doi.org/10.11588/diglit.8539#0109

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FLORENCE JESSIE HÖSEL—BERLIN. BILDSTICKEREI »MAIABEND IM GRUNEWALD«

FLORENCE JESSIE HÖSEL.

VON JARNO JESSEN.

Es kann nicht oft genug wiederholt werden,
daß der wahre Antrieb zur Arbeit in der
Freude am Werk selbst liegen muß ", hat William
Morris gesagt. Aus dieser Erkenntnis wird
auch die unermüdliche Schaffenslust der Kunst-
stickerin Florence Jessie Hösel verständlich.
In dieser Künstlerin walten die Segnungen einer
großen Fruchtbarkeit und eines naiven Selbst-
bewußtseins, das im eigenen Können wie in
einem unvergleichlichen Besitz schwelgt. Je
nachdem eine Landschaft auf die immer empfang-
bereiten Sinne wirkte, oder das Durcheinander
der Stoffreste auf ihrem Werktisch zu Formen-
und Farbenverbindungen reizte, werden die
neuen Schöpfungen geboren. Und je nach ihren
naturalistischen, phantastischen oder dekorativ-
ornamentalen Absichten geht die Ausführung
ganz impulsiv von statten. Man kennt Motive,
die die Textilkunst dieser Stickerin gern absah,
doch ist für ihre Arbeiten kein bestimmtes
Kennzeichen festzulegen.

Die Landschaftsbilder, echte Gelegenheits-
dichtungen der Nadel, sind zwar nachgerade
ein Sondergebiet der Stickerin geworden. Aber
auch hier ist kein Abebben der Arbeitslust zu
vermuten, weil jede Jahres- und Tageszeit ihr
neues Loblied aus bunten Fäden fordert. Immer
ist es erstaunlich, wie die Mittel ihren Zwecken

dienstbar gemacht oder beschafft werden. Der
Stoff wird plötzlich zusammengekraust und
mit Maschinennähten niedergehalten, um eine
Baumrinde, einen Wasserstrudel darzustellen.
Das Temperament entscheidet alles bei diesen
Arbeiten und eine wundervolle Farbenfein-
fühligkeit führt die Regie. Zuweilen vermag
die Künstlerin auch, ganz in der Art der Japaner,
aus dekorativen Andeutungen ein Ganzbild zu
geben. Bei Wahrung dieser Eigenart wird oft
genug mit geduldiger Liebe auf Einzelzüge ein-
gegangen. Man sehe, wie sie den Wiesenteppich,
blütenübersäte Obstbäume, winzige Frühlings-
kräuter und Vogelgefieder nachbildet. Ein
ganzes, abwechslungsreiches Terrain wird ge-
legentlich erfaßt. Der blumenschimmernde
Boden schwillt gebirgartig, die geschlossene
Waldwand zieht vorüber, und Bäume streben
von links und rechts in den Bildraum, während
ein vereinzeltes Baumgebilde seine Gliederung
klar darbietet. Wir zeigen vorstehend eine
solche Nadelmalerei, die von grünlich greller Mai-
abendsonne besonderen Charakter empfängt.

Immer färbt die Künstlerin ihre Stoffe selbst
ein, kocht aus Pflanzenstoffen die echten Natur-
farben und ruht nicht, bis die gewünschte
Stimmung erreicht ist. Schöpferisch in höchstem
Maße ist Frau Hösels Arbeit. Daher ist sie
 
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