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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 40.1917

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Lux, Joseph August: Österreichische Werkkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.8539#0183

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ÖSTERREICHISCHE WERKKUNST.

Das Antlitz dieser Stadt schaut heimlich aus
der österreichischen Werkkunst heraus,
dieser Stadt, die der ewig fruchtbare Schoß
der österreichischen Werkkultur ist. Der Genius
loci Wiens. . . . Man muß die Züge dieses Ant-
litzes verstehen lernen, um das österreichische
Schaffen zu begreifen, sein Fürsichsein, sein
Anderssein, seine eingeborenen Merkmale, die
es von der deutschen Werkkunst unterscheiden.

Vergessen wir nicht, daß über den Dächern
dieser hügeligen Stadt der traumhäuptige Wiener
Wald hereinblickt, und daß sich die schöne,
märchenblaueDonauwie ein liebend drängender
Arm um sie legt, schier heimlich, in einem großen
Bogen, nur von weitem gesehen, aber doch jedem
fühlbar, der sinnend durch die alten Gassen
wandelt. Und so kommt es, daß in dieser Stadt
das Träumerische und Sehnsüchtige wohnt, und
daß das Nahe immer zugleich mit dem Fernen
geistig verknüpft ist. In der Enge des Lebens,
die hier manchen bedrückt, ist dieses Fernen-
glück die heimliche Tür ins Freie. Der Alltag
vertieft sich, er steht im Verklärungslicht, ge-
sehen durch das zweite, innere Gesicht. Das
ist die besondere Gabe der Donaukinder. Merk-
würdig, wenn man die Wege der schaffenden
Menschen hier verfolgt, sie wandern immer
hinaus ins Ländliche, wo ihnen Petrus den grünen
Schlüssel gibt. Sie haben immer Beziehung zur
Natur, zur Landschaft, zur Ferne. Aber diese
Wanderung ins Grüne ist eigentlich nur Symbol.

Denn es ist genauer betrachtet eine Wanderung
in Gott, ins Unendliche der eigenen Seele. Ich
denke dabei an Schubert, der diese Wege
hinausging, wo Gottes Finger winkte, oder an
Beethoven, der am Heiligenstädterbach die
Eroica dichtete, und ich denke vielmehr noch
an die vielen Berühmten und Unberühmten,
die immer wieder schier unbewußt dieselben
Wege wanderten und ihre Sehnsucht von der
Stadt hinaus aufs Land und vom Land wieder
zurück in die Stadt trugen, und doch nicht fort
konnten aus dieser hold verruchten Stadt, wie
sehr sie sich auch sehnten, so fest verwurzelt
waren sie mit dieser Scholle. Wer an die Stadt
geheftet ist, träumt sich wenigstens ein Haus
im Grünen, wie es die Vorväter gehabt haben,
und wer den Traum verwirklichen konnte, blieb
doch wieder mit einem Fuß in der Stadt, die
die eigentliche Lebensluft der österreichischen
schaffenden Seele ist. In diesem Doppelleben
findet diese Seele ihr Glück: in der Verbindung
des Nahen mit dem Fernen, in der allzeit fühl-
sam bewußten Gegenwärtigkeit des tram-
haperten Wiener Waldes und des Stromantlitzes
mit seinem kühlen Hauch über den alten,
mirakelhaften Gassen. Hier, in dem Kunstwerk
der traditionsreichen Stadt, verbindet sich in
der Seele ihrer Bewohner die Idylle Eichen-
dorffischer Täler und der gedämpfte Jubel der
Weinbergfreuden mit dem lockenden Ruf des
Alphorns „Hoch vom Dachstein an . . ." und
 
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