Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 40.1917

DOI Artikel:
Müller-Wulckow, Walter: Bedruckte Stoffe der oberrheinischen Leinenindustrie: Max & Kleinberger, Frankfurt a. M. und Schlitz (Oberhessen)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8539#0263

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Bedruckte Stoffe der Obethessüchen Leintnindush ic.

wieder empfänglich gemacht. Ein Stoff- oder
Tapetenmuster soll nicht von der Leibhaftigkeit
der Naturreminiszenz seine Überzeugungskraft
herleiten, sondern soll von dem Gegebenen,
der Fläche ausgehen, sich ihr anpassen und
einordnen. Diese Disziplin ist Voraussetzung
für jegliche Stilbildung. Es gibt aber kaum eine
Technik, die diesem Zeitbedürfnis so sehr Vor-
schub leistet, als der breite, flächige Druck mit
Holzmodeln. So ist es denn kein Wunder, daß
die Vorliebe für den Holzschnitt, wie sie gerade
die letzte Generation auszeichnet, auch im
Stoffdruck zur Geltung kommt.

Denn was von der kompliziert und unver-
ständlich gewordenen mechanischen Weberei
nicht mehr gilt, das kann man umsomehr dem
Stoff druck nachrühmen: auch der Laie versteht
ihn in seinen technischen und künstlerischen
Bedingungen. Auf solche Leistungen ist das
Auge eingestellt; bedruckte Stoffe sind mithin
zeitgemäß. — Sicherlich spiegelt sich das Wesen
der Zeit in dem, worin sie ihren Reiz findet.
Und so wird es wohl an das Wesentlichste
rühren, wenn man in dieser Tendenz zur Flächen-
einordnung das Bestreben unserer Zeit erkennt,
allem in gleicher Weise gerecht zu werden,
alles gleich wichtig zu fassen. Darin äußert sich
eine Stärke, die doch auch eine Schwäche in
sich birgt, wenn alles in eine Fläche gebannt
und dadurch alles gleich nahe erscheinen soll.
Es ist dies der nivellierende Zug unserer Zeit.

So mag es denn psychologisch verständlich
erscheinen, daß einzelne Künstler gegen die
absolute Herrschaft des Flächenprinzips sich
auflehnen. Frau v. K a r d o r f f und Karl Walser
haben wieder die künstlerische Ungebundenheit
erlangt, die leicht als stilgeschichtlicher Rück-
schritt gedeutet werden kann. Und R.A.Schrö-
der hat sich ja den Fesseln irgendwelcher Ele-
mentargesetze nie unterworfen, er hat immer
aus einem spielenden Phantasiereichtum und
zugleich in einer unwillkürlichen Stilbindung ge-
schaffen, einander ergänzende Eigenheiten, die
ihn ganz besonders auszeichnen. Es wäre pedan-
tisch, wollte man solchen Künstlern diesen Spiel-
raum nicht gönnen innerhalb der gemeinsamen
Grenzmarken. Im harmonischen Ausgleich von
Regel und Willkür liegt auch hier das Ziel.

Es fragt sich, ob ein Produktionszweig des
Kunstgewerb es wie der hier besprochene zu
dieser Ausgeglichenheit gelangen kann, ohne
die vermittelnde Hand und den Ziele erkennen-
den Kopf eines Organisators, der frühzeitig
solche in der Zeit angelegten Möglichkeiten
begreift und ihnen zu gedeihlicher Entfaltung
verhilft. Auch der fruchtbarste Boden will be-
ackert, das Saatgut zur rechten Zeit ausgestreut

sein. Wenn heute die Oberhessische Leinen-
industrie Weltruf besitzt, so ist das zunächst
der großzügigen Förderung zu danken, die jeg-
liches zeitgemäß gesinnte Kunstgewerbe über-
haupt in Hessen gefunden hat, dann aber spe-
ziell der unentwegten Arbeit und Unterneh-
mungsfreudigkeit des Herrn Louis Marx, der
in steter Zusammenarbeitmit dem künstlerischen
Berater, Professor Hans Christiansen, auf
die Vervollkommnung des Stoffdrucks hinge-
wirkt hat. In richtiger Erkenntnis der in seiner
Position ihm vergönnten Möglichkeiten ist er
zum Vermittler der sich kreuzenden Kräfte und
Bestrebungen geworden, in dessen Hand die
Fäden zusammenlaufen. Indem er einerseits
die technischenVoraussetzungen der Produktion
andauernd verbessert, den Holzschneider zur
vollendeteren Wiedergabe der Entwürfe er-
zieht und mit den immer komplizierteren Druck-
stempeln die Ausnützung der von der Chemie
zurVerfügung gestellten Farben in stets größerer
Zahl ermöglicht, verschafft er andererseits der
Phantasie des Künstlers den festen Rückhalt
und schult auch ihn zu sachgemäßer Arbeits-
weise. Diesen Vorteil haben die von Louis
Marx zu derartigen Aufgaben herangezogenen
Künstler, wie Bruno Paul, Orlik, E. R. Weiß,
Th. Th. Heine und Margold sämtlich gespürt,
sobald ihnen Gelegenheit gegeben wurde, sich
hier mit den technischen Bedingungen vertraut
zu machen und ihre Entwürfe diesen anzupassen.
Das Vollkommenste in dieser Hinsicht stellt
wohl das an die Spitze gesetzte Muster von
E. R. Weiß dar, das hier, als Spiegel einer
Tischdecke mit dunklem Rand gefaßt, gerade
in dem beschwingten Rhythmus seines Rapports
geprüft werden kann. Überaus reich in seinen
Formelementen und in der Fläche ganz gefüllt,
bekommt doch das Bild durch das Versetzen
der Model eine Diagonalbewegung, welcher über
Kreuz die Perlbänder und die Glockenblumen-
reihen das Gegengewicht halten. In gleicher
Art ist der Vertikalismus in auf- und abwärts-
steigende Gegenbewegung aufgelöst, als deren
Träger vor allem die Tulpen erscheinen. Eine
Kaprice beherrscht den neuen Schröder'schen
Entwurf: in ihrer dynamischen Kraft fein ab-
gewogene Diagonalspannungen organisieren
großzügig die Fläche und bauen dem graziösen
Blumengeranke das Gerüst. Bei aller Reminis-
zenz an ausgehendes Dixhuitieme kann man
dem Einfall, der mit heiterer Zeltbespannung
kokettiert, eine anregende Wirkung als Spann-
stoff nicht absprechen. Das Streublumenmuster
von Frau v. Kardorff wirkt auch ohne Farben
so lebendig durch das Gegeneinanderbalancie-
ren der Richtungen. Zwei Beispiele von dia-

XX. Juli 1917. 5
 
Annotationen