Psychologie der Kunst.
Formen am Haus- und Kriegsgerät derWilden —
Anfänge der Kunst — lassen auf seinen gei-
stigen Tiefstand und die Unkultur seiner Zeit
schließen, während hinter der klassischen
Formensprache in der griechischen und römi-
schen Kunst, demwunderbaren Ideen-Reichtum,
der niegekannten Größe und der spielenden
Lösung ihrer Aufgaben Geschlechter stehen von
hohem Geistesadel, fußend auf einer Kultur aller-
höchster Steigerung! Eine gewaltige Zeit, die
blendenden Glanznochüber unsere Tage breitet,
eine Zeit, der sich etwa die Renaissance des
Mittelalters vergleichen läßt, jene leuchtenden
Jahrhunderte, die das Erwachen des Geistes
und den Wohlstand des Bürgers in ihren reichen
Kunstwerken sprechend erkennen lassen. Und
so können wir die Kunst der Jahrtausende
durchschreiten: immer wieder finden wir
in ihren Werken den Ausdruck der Zeit
und das Empfinden des Einzelnen als
den Vertreter eines ganzen Geschlechts.
Dabei entgeht dem tiefschauenden Beobachter
nicht, daß in Arbeiten der Künstler, die nicht
zu sehr im Zuge der Kultur und des tiefatmigen
Lebensstromes der Zeit standen, die persönliche
Note ihres ureigensten Wesens schärfer zum
Ausdruck kommt, als dies bei den Kunstschöp-
fungen aus großen Kultur-Zentren der Fall ist.
Das ist ganz natürlich. Denn in der großen
Zunft der Künstler ist die Führerschaft einzelner
starker Talente mehr oder weniger immer nach-
zuweisen, während in stiller Verlassenheit der
Einzelne für sich allein stand. Daraus erklärt
es sich auch, warum die ländliche Kunst —
namentlich Architektur und Hausgerät — frü-
herer Jahrhunderte so überaus hohe, packende
Reize in sich trägt, mit so erfrischender Poesie
zum Herzen spricht —, weil die stillzufriedenen
Künstler aus dem reinen Quell natürlicher, tief-
innerlichster Empfindung schöpften — schöpfen
mußten, sodaß der lebenswarme Hauch ihrer
Seele das Vernichtungswerk der Zeit leichthin
überdauert. — Wir streifen auf unseren Reisen
ein stillverlassenes Dorf, schließen wir aus
einem alten malerischen, glücklich abgewogenen
Kirchlein, das wie das Auge Gottes aus
dunklem Grün des Friedhofs hervor-
schaut — schließen wir aus diesem schlichten
Kunstwerk nicht auf den Geist längst dahin-
gegangener Geschlechter? .... (Fortsetzung folgt.)
KARL STRATHMANN. STILLEBEN »BLAUE VASE« BES: A. K. DARMSTADT.
Formen am Haus- und Kriegsgerät derWilden —
Anfänge der Kunst — lassen auf seinen gei-
stigen Tiefstand und die Unkultur seiner Zeit
schließen, während hinter der klassischen
Formensprache in der griechischen und römi-
schen Kunst, demwunderbaren Ideen-Reichtum,
der niegekannten Größe und der spielenden
Lösung ihrer Aufgaben Geschlechter stehen von
hohem Geistesadel, fußend auf einer Kultur aller-
höchster Steigerung! Eine gewaltige Zeit, die
blendenden Glanznochüber unsere Tage breitet,
eine Zeit, der sich etwa die Renaissance des
Mittelalters vergleichen läßt, jene leuchtenden
Jahrhunderte, die das Erwachen des Geistes
und den Wohlstand des Bürgers in ihren reichen
Kunstwerken sprechend erkennen lassen. Und
so können wir die Kunst der Jahrtausende
durchschreiten: immer wieder finden wir
in ihren Werken den Ausdruck der Zeit
und das Empfinden des Einzelnen als
den Vertreter eines ganzen Geschlechts.
Dabei entgeht dem tiefschauenden Beobachter
nicht, daß in Arbeiten der Künstler, die nicht
zu sehr im Zuge der Kultur und des tiefatmigen
Lebensstromes der Zeit standen, die persönliche
Note ihres ureigensten Wesens schärfer zum
Ausdruck kommt, als dies bei den Kunstschöp-
fungen aus großen Kultur-Zentren der Fall ist.
Das ist ganz natürlich. Denn in der großen
Zunft der Künstler ist die Führerschaft einzelner
starker Talente mehr oder weniger immer nach-
zuweisen, während in stiller Verlassenheit der
Einzelne für sich allein stand. Daraus erklärt
es sich auch, warum die ländliche Kunst —
namentlich Architektur und Hausgerät — frü-
herer Jahrhunderte so überaus hohe, packende
Reize in sich trägt, mit so erfrischender Poesie
zum Herzen spricht —, weil die stillzufriedenen
Künstler aus dem reinen Quell natürlicher, tief-
innerlichster Empfindung schöpften — schöpfen
mußten, sodaß der lebenswarme Hauch ihrer
Seele das Vernichtungswerk der Zeit leichthin
überdauert. — Wir streifen auf unseren Reisen
ein stillverlassenes Dorf, schließen wir aus
einem alten malerischen, glücklich abgewogenen
Kirchlein, das wie das Auge Gottes aus
dunklem Grün des Friedhofs hervor-
schaut — schließen wir aus diesem schlichten
Kunstwerk nicht auf den Geist längst dahin-
gegangener Geschlechter? .... (Fortsetzung folgt.)
KARL STRATHMANN. STILLEBEN »BLAUE VASE« BES: A. K. DARMSTADT.