AUS DEM FILM »DHC PRITZEL l'Ul'l'E« LOTTE PRITZEL BEI DER ARBEIT. KULTUR ABTEILUNG DER UFA BERLIN,
NEUE VITRINEN-PUPPEN VON LOTTE PRITZEL.
So oft man neue, von Lotte Pritzels Geist
und Hand geschaffene Puppen zu Gesicht
bekommt, staunt man wieder über die Intensi-
tät und ungemeine Steigerungsfähigkeit ihrer
Kunst. Wie eine echte Tänzerin ihren Körper
beherrscht, daß die schwierigsten Bewegungen
leicht und ungezwungen erscheinen und selbst
im stärksten, leidenschaftlichsten Ausdruck nie
den unsichtbaren Rahmen sprengen, der ihren
besonderen Rhythmus zusammenfaßt und be-
grenzt, und wie ein Märchenerzähler des Orients
seine Zuhörer durch ein vieldeutiges Wort, durch
eine magische Gebärde in Bann nimmt, daß sie
Mittler und Mittel vergessen: so versteht es
Lotte Pritzel in ihren zierlichen Geschöpfen zu
schweben und ihrem rhythmischen Lebensge-
fühle einen zarten, aber dennoch sehr leiden-
schaftlichen Ausdruck zu geben, der sich spon-
tan und aufregend mitteilt, doch wie ein Traum
nur schwer und unsicher deuten läßt.
Der aufmerksame Leser dieser Zeitschrift
wird sich der zahlreichen Bildproben aus frühe-
ren Jahrgängen erinnern, die den Weg ihrer
Kunst illustrieren.*) In dem feinfühlig-eindring-
lichen Begleittext R. Coesters (März 1920, S.
347 f.) wurde bereits angemerkt, wie sie sich
nicht etwa aus akademischen Anfängen ent-
wickelt hat, sondern im Spiele mit einer Ba-
stelei begann, wie Spielpuppen mit beweglichen
Gliedern die Vorgängerinnen der heutigen festen
Stand- oder Vitrinen-Puppen waren, die in eine
bestimmte Gebärde eingeschmiegt, einem kom-
plizierten Rhythmus Untertan sind. Doch be-
deutete diese Festigung der Form keineswegs
Erstarrung, es ist im Gegenteil merkwürdig,
daß diese feinen, sylphidenhaf ten Puppenwesen
nicht fixiert wirken, sondern, im höchsten Maße
beweglich, wie Verdichtungen und Verschling-
ungen einer unendlichen Bewegung erscheinen,
als hätte der Rhythmus selbst ihre sublime
Körperlichkeit mitsamt dem Gewoge und Ge-
kräusel ihrer Gewandung hervorgebracht, um
sie mit dem Augenwinke wieder aufzulösen und
abermals zu verwandeln und zu verdichten. So
erstehen sie wie Improvisationen eines Unter-
bewußtseins, und man möchte glauben, daß
*) Januarheft 1911, Dezemberheft 1912, Januarheft 1914,
Sept.-Heft 1916, Märzheft 1920, Maiheft 1922, S. 112 ff.
XXVII. Oktober 1923. 5
NEUE VITRINEN-PUPPEN VON LOTTE PRITZEL.
So oft man neue, von Lotte Pritzels Geist
und Hand geschaffene Puppen zu Gesicht
bekommt, staunt man wieder über die Intensi-
tät und ungemeine Steigerungsfähigkeit ihrer
Kunst. Wie eine echte Tänzerin ihren Körper
beherrscht, daß die schwierigsten Bewegungen
leicht und ungezwungen erscheinen und selbst
im stärksten, leidenschaftlichsten Ausdruck nie
den unsichtbaren Rahmen sprengen, der ihren
besonderen Rhythmus zusammenfaßt und be-
grenzt, und wie ein Märchenerzähler des Orients
seine Zuhörer durch ein vieldeutiges Wort, durch
eine magische Gebärde in Bann nimmt, daß sie
Mittler und Mittel vergessen: so versteht es
Lotte Pritzel in ihren zierlichen Geschöpfen zu
schweben und ihrem rhythmischen Lebensge-
fühle einen zarten, aber dennoch sehr leiden-
schaftlichen Ausdruck zu geben, der sich spon-
tan und aufregend mitteilt, doch wie ein Traum
nur schwer und unsicher deuten läßt.
Der aufmerksame Leser dieser Zeitschrift
wird sich der zahlreichen Bildproben aus frühe-
ren Jahrgängen erinnern, die den Weg ihrer
Kunst illustrieren.*) In dem feinfühlig-eindring-
lichen Begleittext R. Coesters (März 1920, S.
347 f.) wurde bereits angemerkt, wie sie sich
nicht etwa aus akademischen Anfängen ent-
wickelt hat, sondern im Spiele mit einer Ba-
stelei begann, wie Spielpuppen mit beweglichen
Gliedern die Vorgängerinnen der heutigen festen
Stand- oder Vitrinen-Puppen waren, die in eine
bestimmte Gebärde eingeschmiegt, einem kom-
plizierten Rhythmus Untertan sind. Doch be-
deutete diese Festigung der Form keineswegs
Erstarrung, es ist im Gegenteil merkwürdig,
daß diese feinen, sylphidenhaf ten Puppenwesen
nicht fixiert wirken, sondern, im höchsten Maße
beweglich, wie Verdichtungen und Verschling-
ungen einer unendlichen Bewegung erscheinen,
als hätte der Rhythmus selbst ihre sublime
Körperlichkeit mitsamt dem Gewoge und Ge-
kräusel ihrer Gewandung hervorgebracht, um
sie mit dem Augenwinke wieder aufzulösen und
abermals zu verwandeln und zu verdichten. So
erstehen sie wie Improvisationen eines Unter-
bewußtseins, und man möchte glauben, daß
*) Januarheft 1911, Dezemberheft 1912, Januarheft 1914,
Sept.-Heft 1916, Märzheft 1920, Maiheft 1922, S. 112 ff.
XXVII. Oktober 1923. 5