WAHLKUNST
ODER VOM WESEN DER ELEGANZ.
Das was man mit dem Fremdwort „Eleganz"
bezeichnet, ist nicht etwa die Erfindung
eines einzelnen Volkes oder Landes, ist nicht
ein Vorzug, den man einer bestimmten Zeit-
periode allein nachrühmen kann. — Eleganz
hat es immer und überall gegeben, bei den
Wilden und Kulturvölkern, bei den alten Ägyp-
tern wie bei den alten Griechen, in der Gotik
und in der Renaissance, in China und Japan,
in Hawaii und in Grönland, bei Bauern und
Aristokraten, bei Männlein und Weiblein, bei
Arm und Reich.
Manche Negerstämme Zentralafrikas, manche
polynesische Stämme haben überraschend feine
Organe für Eleganz; ihre Bewaffnung, ihre Täto-
wierungen, ihr Kriegsputz sind oft von ganz be-
sonderer Erlesenheit und können sich getrost
mit der Ausrüstung eines englischen Sports-
manns oder der Rüstung eines hochgezüchteten
Ritters aus dem Quattrocento messen. Chine-
sische Künstler haben uns mit zartem Pinsel
das Leben eleganter Frauen überliefert, das in
Grad und Hochspannung der Eleganz von Tana-
grafigürchen, Botticellischen Fiorentinerinnen
und Gainsborough-Damen völlig gleichsteht.
Will man das Wesen des Eleganten defi-
nieren, so stößt man auf einige Schwierigkeiten:
das Wort selbst deutet nur an, daß es sich um
eine Auswahl handelt, man übersetzt es daher
auch wohl mit „ erlesen ", „ gewählt", kommt aber
damit dem Kern nicht recht näher; denn eine
gewählte Sprache ist noch keine elegante, und
ein erlesener Diamantschmuck könnte unter
Umständen auch unelegant sein. Immerhin ist
Eleganz das Ergebnis von Auswahl, von sorg-
fältigem Erlesen, weniger das eines eigentlich
schöpferischen Handelns; insofern betrügt uns
der Ausdruck sprachlich nicht. Empfindet man
das Wörtchen „elegant" einmal ganz durch,
dann entdeckt man alsbald, daß es nicht „aus-
gewählt an sich" oder „erlesen an sich" be-
deutet, sondern ein ausgewählt aus ganz be-
stimmten Voraussetzungen, aus einer eigenen
Wesenheit, die sich in strafferer oder höherer
innerer Spannung und einem schnelleren Lebens-
rhythmus, als der Allgemeinheit zu eigen sein
pflegen, dokumentiert. Auch das Bereich des
Auszuwählenden spielt eine wichtige Rolle:
Der Elegante wählt sich seine Eleganz nicht
überall zusammen, er wählt sie innerhalb eines
ganz festumrissenen Rahmens, dessen Grenzen
ihm höchstes Gesetz sind. Diese Grenzen sind
ihm seine Sphäre, seine Gesellschaft, sein Stand,
sein Beruf, seine Zeit, seine Liebhabereien.
Innerhalb derselben wählt er treffsicher das
Beste, ihm Schicklichste und Gemessenste an
Qualität und Form und ist dadurch das, was
man als elegant zu schätzen weiß.
Wer unter dem Absonderlichen, dem Aus-
gefallenen, dem Unzweckmäßigen seine Eleganz
suchen wollte, der würde sein Ziel so wenig
erreichen, wie jener nackte Mohr, der sich mit
Zylinder, Badehosen und Röllchen bekleidete!
Mit Kuriositäten kann man wohl ein Sammler-
kabinett, eine Künstlerwerkstatt ausstaffieren,
man wird damit aber nie eine elegante Behau-
sung herstellen können.
Man hat den Wert des Eleganten vielerseits
unterschätzt und fanatische Stürmer und Drän-
ger, die mehr phantastische „Schöpferlust" wie
straffe „Wahlkunst" in sich spüren, und die dar-
nach trachten, die Welt mit Neuwerten zu be-
reichern, haben, was nicht unverständlich ist,
immer gerne, namentlich in Zeiten des künst-
lerischen Wandels, das Elegante als „Kitsch"
verspottet und zu enttronen versucht, und man
hat ihnen mehr als nötig geglaubt, denn was
man für das „Elegante" eintauschte, war meist
nur unbescheidene Exzentrik oder chaotische
Boheme und damit war und ist einer Gesell-
schaft oder einer Menschenklasse nie geholfen.
Ich meine daher, man soll nun im neuen
Deutschland wieder einmal an das Elegante
denken. Wer nicht wirklich genial ist — und
wer ist das unter den 60 Millionen Menschen
— der sollte nach der Palme der Wahlkunst
trachten. Dazu bedarf es nur der festent-
schlossenen Grenzenbejahung, des „Stolzsein
in der eigenen Haut" und des Ehrgeizes unter
den Schicht- und Berufsgenossen dadurch der
Besten einer zu sein, daß man innerlich und
äußerlich auf rechte Auswahl unter dem
Zwecklichen, dem Möglichen und dem Schick-
lichen hält.
Vor allem unsere jungen Künstler und Künst-
lerinnen sollten sich einmal mit dem Begriffe
Eleganz ein wenig befreunden! Ein wenig
„Wahlkunst" unter ihren Gedanken, Gesichten
und Gefühlen üben, ehe sie zum Kunstgerät
greifen, könnte da wahrlich nicht schaden. So-
lange die Erde steht, wird es Erfreuliches und
Unerfreuliches, Anziehendes und Widriges,
Mögliches und Unmögliches, Fesselndes und
Langweiliges geben. Warum nicht lieber ein
XXVII. März 1924. 6
ODER VOM WESEN DER ELEGANZ.
Das was man mit dem Fremdwort „Eleganz"
bezeichnet, ist nicht etwa die Erfindung
eines einzelnen Volkes oder Landes, ist nicht
ein Vorzug, den man einer bestimmten Zeit-
periode allein nachrühmen kann. — Eleganz
hat es immer und überall gegeben, bei den
Wilden und Kulturvölkern, bei den alten Ägyp-
tern wie bei den alten Griechen, in der Gotik
und in der Renaissance, in China und Japan,
in Hawaii und in Grönland, bei Bauern und
Aristokraten, bei Männlein und Weiblein, bei
Arm und Reich.
Manche Negerstämme Zentralafrikas, manche
polynesische Stämme haben überraschend feine
Organe für Eleganz; ihre Bewaffnung, ihre Täto-
wierungen, ihr Kriegsputz sind oft von ganz be-
sonderer Erlesenheit und können sich getrost
mit der Ausrüstung eines englischen Sports-
manns oder der Rüstung eines hochgezüchteten
Ritters aus dem Quattrocento messen. Chine-
sische Künstler haben uns mit zartem Pinsel
das Leben eleganter Frauen überliefert, das in
Grad und Hochspannung der Eleganz von Tana-
grafigürchen, Botticellischen Fiorentinerinnen
und Gainsborough-Damen völlig gleichsteht.
Will man das Wesen des Eleganten defi-
nieren, so stößt man auf einige Schwierigkeiten:
das Wort selbst deutet nur an, daß es sich um
eine Auswahl handelt, man übersetzt es daher
auch wohl mit „ erlesen ", „ gewählt", kommt aber
damit dem Kern nicht recht näher; denn eine
gewählte Sprache ist noch keine elegante, und
ein erlesener Diamantschmuck könnte unter
Umständen auch unelegant sein. Immerhin ist
Eleganz das Ergebnis von Auswahl, von sorg-
fältigem Erlesen, weniger das eines eigentlich
schöpferischen Handelns; insofern betrügt uns
der Ausdruck sprachlich nicht. Empfindet man
das Wörtchen „elegant" einmal ganz durch,
dann entdeckt man alsbald, daß es nicht „aus-
gewählt an sich" oder „erlesen an sich" be-
deutet, sondern ein ausgewählt aus ganz be-
stimmten Voraussetzungen, aus einer eigenen
Wesenheit, die sich in strafferer oder höherer
innerer Spannung und einem schnelleren Lebens-
rhythmus, als der Allgemeinheit zu eigen sein
pflegen, dokumentiert. Auch das Bereich des
Auszuwählenden spielt eine wichtige Rolle:
Der Elegante wählt sich seine Eleganz nicht
überall zusammen, er wählt sie innerhalb eines
ganz festumrissenen Rahmens, dessen Grenzen
ihm höchstes Gesetz sind. Diese Grenzen sind
ihm seine Sphäre, seine Gesellschaft, sein Stand,
sein Beruf, seine Zeit, seine Liebhabereien.
Innerhalb derselben wählt er treffsicher das
Beste, ihm Schicklichste und Gemessenste an
Qualität und Form und ist dadurch das, was
man als elegant zu schätzen weiß.
Wer unter dem Absonderlichen, dem Aus-
gefallenen, dem Unzweckmäßigen seine Eleganz
suchen wollte, der würde sein Ziel so wenig
erreichen, wie jener nackte Mohr, der sich mit
Zylinder, Badehosen und Röllchen bekleidete!
Mit Kuriositäten kann man wohl ein Sammler-
kabinett, eine Künstlerwerkstatt ausstaffieren,
man wird damit aber nie eine elegante Behau-
sung herstellen können.
Man hat den Wert des Eleganten vielerseits
unterschätzt und fanatische Stürmer und Drän-
ger, die mehr phantastische „Schöpferlust" wie
straffe „Wahlkunst" in sich spüren, und die dar-
nach trachten, die Welt mit Neuwerten zu be-
reichern, haben, was nicht unverständlich ist,
immer gerne, namentlich in Zeiten des künst-
lerischen Wandels, das Elegante als „Kitsch"
verspottet und zu enttronen versucht, und man
hat ihnen mehr als nötig geglaubt, denn was
man für das „Elegante" eintauschte, war meist
nur unbescheidene Exzentrik oder chaotische
Boheme und damit war und ist einer Gesell-
schaft oder einer Menschenklasse nie geholfen.
Ich meine daher, man soll nun im neuen
Deutschland wieder einmal an das Elegante
denken. Wer nicht wirklich genial ist — und
wer ist das unter den 60 Millionen Menschen
— der sollte nach der Palme der Wahlkunst
trachten. Dazu bedarf es nur der festent-
schlossenen Grenzenbejahung, des „Stolzsein
in der eigenen Haut" und des Ehrgeizes unter
den Schicht- und Berufsgenossen dadurch der
Besten einer zu sein, daß man innerlich und
äußerlich auf rechte Auswahl unter dem
Zwecklichen, dem Möglichen und dem Schick-
lichen hält.
Vor allem unsere jungen Künstler und Künst-
lerinnen sollten sich einmal mit dem Begriffe
Eleganz ein wenig befreunden! Ein wenig
„Wahlkunst" unter ihren Gedanken, Gesichten
und Gefühlen üben, ehe sie zum Kunstgerät
greifen, könnte da wahrlich nicht schaden. So-
lange die Erde steht, wird es Erfreuliches und
Unerfreuliches, Anziehendes und Widriges,
Mögliches und Unmögliches, Fesselndes und
Langweiliges geben. Warum nicht lieber ein
XXVII. März 1924. 6