>BLICK AUF STUTTGART«
JULIUS HESS—MÜNCHEN.
JULIUS HESS.
Wenn man aus kunstgeschichtlicher und
menschlicherPerspektivevoneinerMünch-
ner Schule sprechen und das Wesen dieser
Schule in einer Eigentümlichkeit zusammen-
fassen kann, dann wäre etwa zu sagen: die
Zone München ist nicht eine Zone der ausschwei-
fenden Begabungen — der Begabungen, die
hinreißen j die Kräfte schießen nicht einsam auf;
sie sind nicht unvergleichbar; sie stehn nicht
unter dem Gesetz einer heftigen Individuation;
sondern: sie finden eine natürliche Mitte im
Kollektiven — siedeln sich nebeneinander an,
bilden und pflegen persönliche Anschauung in
Beziehungen zu einem common sense, der selbst,
an sich, aus einer charakteristischen Verbindung
örtlicher Kunstelemente und südlicher, auch
westlicher Bildungsfermente entstanden ist.
Beispiele aus älteren Generationen: Spitzweg,
Schleich (— gute Beispiele). Fragwürdige Bei-
spiele: Lenbach, Stuck. Dort gab Barbizon,
auch das Paris des zweiten Kaiserreichs den
Zuschuß zum Heimischen, Lokalen, allzu Loka-
len ; im Malen und Leben des Zweiten, Schleichs,
kam der Zuschuß aus Holland. Bei den beiden
Letzten kam ein Element der Bildung aus Italien
(_ ohne freilich erquickliche Ergebnisse zu
züchten). Ein Beispiel aus jüngeren Genera-
tionen: Weisgerber. Ein echter Malerimpuls
aus münchnerischer Züchtung, letzten Endes
barock bedingt, Deszendenz jener barocken
Malerinitiativen, die im siebzehnten und acht-
zehnten Jahrhundert die bayrischen Kirchen
geschmückt haben, zog die Elemente einer
höheren Urbanität aus dem Paris vor dem Kriege
und versuchte schließlich, an den ruhigen Flä-
chen des Fra Angelico sich zu sänftigen und zu
sublimieren. Ein anderes Beispiel: Julius Heß;
Schwabe, doch nach Schicksals-Weise in Mün-
chen befestigt. Ein Münchner Maler, im Besitz
der malerischen Antriebe, die der Münchner
Malerei nicht nur aus den europäisch gekreuzten
Schulen des bayrischen Barocks, sondern auch
absolut, als Rassengut, als Orts-Erbe, als Über-
schuß des Blutes eigentümlich angehören, fand
XXVII. November 1923. 1
JULIUS HESS—MÜNCHEN.
JULIUS HESS.
Wenn man aus kunstgeschichtlicher und
menschlicherPerspektivevoneinerMünch-
ner Schule sprechen und das Wesen dieser
Schule in einer Eigentümlichkeit zusammen-
fassen kann, dann wäre etwa zu sagen: die
Zone München ist nicht eine Zone der ausschwei-
fenden Begabungen — der Begabungen, die
hinreißen j die Kräfte schießen nicht einsam auf;
sie sind nicht unvergleichbar; sie stehn nicht
unter dem Gesetz einer heftigen Individuation;
sondern: sie finden eine natürliche Mitte im
Kollektiven — siedeln sich nebeneinander an,
bilden und pflegen persönliche Anschauung in
Beziehungen zu einem common sense, der selbst,
an sich, aus einer charakteristischen Verbindung
örtlicher Kunstelemente und südlicher, auch
westlicher Bildungsfermente entstanden ist.
Beispiele aus älteren Generationen: Spitzweg,
Schleich (— gute Beispiele). Fragwürdige Bei-
spiele: Lenbach, Stuck. Dort gab Barbizon,
auch das Paris des zweiten Kaiserreichs den
Zuschuß zum Heimischen, Lokalen, allzu Loka-
len ; im Malen und Leben des Zweiten, Schleichs,
kam der Zuschuß aus Holland. Bei den beiden
Letzten kam ein Element der Bildung aus Italien
(_ ohne freilich erquickliche Ergebnisse zu
züchten). Ein Beispiel aus jüngeren Genera-
tionen: Weisgerber. Ein echter Malerimpuls
aus münchnerischer Züchtung, letzten Endes
barock bedingt, Deszendenz jener barocken
Malerinitiativen, die im siebzehnten und acht-
zehnten Jahrhundert die bayrischen Kirchen
geschmückt haben, zog die Elemente einer
höheren Urbanität aus dem Paris vor dem Kriege
und versuchte schließlich, an den ruhigen Flä-
chen des Fra Angelico sich zu sänftigen und zu
sublimieren. Ein anderes Beispiel: Julius Heß;
Schwabe, doch nach Schicksals-Weise in Mün-
chen befestigt. Ein Münchner Maler, im Besitz
der malerischen Antriebe, die der Münchner
Malerei nicht nur aus den europäisch gekreuzten
Schulen des bayrischen Barocks, sondern auch
absolut, als Rassengut, als Orts-Erbe, als Über-
schuß des Blutes eigentümlich angehören, fand
XXVII. November 1923. 1