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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 53.1923-1924

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W. F.: Künstlerische Weltdeutung
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https://doi.org/10.11588/diglit.9146#0084

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KÜNSTLERISCHE WELTDEUTUNG.

Der Künstler gibt nicht Welt an sich, son-
dern Weltdeutung, genau so, wie der
Geschichtschreiber nicht Geschehen an sich,
sondern gedeutetes Geschehen, sinnvolles Ge-
schehen darstellt. Wo der Mensch auftritt, er-
hebt sich in den Dingen der Sinn, die Bedeu-
tung. Es ist unmöglich, daß sich der Mensch
anders zur Welt verhalte als deutend, denn sein
innerstes Leben ist nichts anderes als sinnvolles
Leben, dergestalt, daß ein durchaus sinnloses
Leben im Bezirk des Menschen unmöglich ist.

Inhalt der künstlerischen Weltdeutung ist die
Durchwirkung der Realität mit dem „Glau-
ben", mit der Sinngebung, mit der metaphysi-
schen Lebensidee des bestimmten einzelnen
Künstlers. Daher kommt es, daß die Werke
großer Künstler eine so ungeheure Sinnhaftig-
keit, eine so siegreiche Gesetzesfülle haben.
Was dem Auge und dem Herzen als ihre „ Schön-
heit" erscheint, das ist vor dem Geist ihre feste,
unerschütterliche Gläubigkeit, ihr gesicherter,
durch nichts gebrochener Lebens-Sinn. In der
Tat, hört man innerlich genau auf das Wort,
das eine Fuge von Bach, eine Sonate von Mo-
zart, ein Gemälde von Giotto, ein Bildwerk

von Polyklet, ein Gedicht von Goethe sprechen,
so bemerkt man: sie sprechen von einer Welt,
in der es keine Zweifel und Ängste, kein Wel-
ken und keinen Tod gibt. Sie sprechen von
einer Welt, in der klar und sinnvoll Kraft und
Gesetz herrschen. Und zwar sprechen sie von
diesen Dingen nicht von Hörensagen, sondern
sie sprechen davon mit der Bestimmtheit kla-
rer, treuer Reiseberichte und mit der Behaup-
tung: Ich habe gesehen, ich habe gehört.

Auch von Künstlern minderer Mächtigkeit
des Lebens und „Glaubens" wird dieses Wort
gesprochen. Aber es wird nur undeutlich ver-
nehmbar, hat nur halbe Zuverlässigkeit und
geringe Autorität. Weltdeutung aber bleibt es
in jedem Falle. Und dies ist es, was den Ver-
kehr mit Kunstwerken (z. B. mit den Kunst-
werken, die der Wohnung zum Schmuck dienen)
zu einem wirklichen „Umgang", nämlich zu einer
Berührung mit fremdem Glauben, fremder Kraft
macht. Kunstwerke, die uns umgeben, sind
wirkliche „Gesellschaft", deren Einwirkung wir
uns ebensowenig unbelohnt oder unbestraft
aussetzen wie den Einwirkungen gewählten oder
ungewählten Menschenumgangs....... w. f.

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