Theoretische und schöpferische Kunst.
ALFRED
LÖRCHER-
STUTTGART
ter, als Gesetzgeber. Sie wird lern- und über-
tragbar, eine Angelegenheit eines scharf ge-
schiedenen Berufsstandes — der Künstler!
— Standesabzeichen, deren die schöpferische,
erdhaft verwurzelte Kunst nicht bedarf, weil in
ihr der Schaffende sich mit der Allgemeinheit
eins weiß, betonen geflissentlich den Kontrast.
Die theoretische Kunst braucht sie — als Aus-
druck eines tragischen Zwiespalts. Der Zustand
ist dem einer eben noch lebendigen Religion
beim Eintritt in den Dogmatisierungsprozeß
vergleichbar: der Priester, vorher ein Sohn des
Volkes wie jeder andere, nimmt die Berufs-
physiognomie an, die unterscheidende Maske,
das Stigma der Einzigartigkeit. Nächste Etappe:
der Künstler beginnt seine Instinkte zu bearg-
wöhnen, seine sinnlichen Werkzeuge objektiv
zu prüfen. Was früher naiv, im Vertrauen auf
die Sicherheit der unmittelbaren Erkenntnis
geschah, geschieht nun mit Bewußtsein, wird
Gegenstand der Vivisektion. Die Erscheinung
wird zergliedert, in ihre Urbestandteile aufge-
löst, angeblich vereinfacht, in Wahrheit ihrer
sinnlichen Elemente durch Abtötung enteignet.
— Sieg des begrifflichen Denkens über
die Totalanschauung. Im weiteren Verlauf
dieses Verfahrens usurpiert der Verstand dann
immer größere Gebiete des Lebens. Das Prä-
parat verdrängt das natürliche Objekt, das Ge-
künstelte und Gesuchte steigt in der Schätzung,
auch das Unzulänglichste wird zum Ereignis
gestempelt — Sieg des Experiments über
ALFRED
LÖRCHER-
STUTTGART
ter, als Gesetzgeber. Sie wird lern- und über-
tragbar, eine Angelegenheit eines scharf ge-
schiedenen Berufsstandes — der Künstler!
— Standesabzeichen, deren die schöpferische,
erdhaft verwurzelte Kunst nicht bedarf, weil in
ihr der Schaffende sich mit der Allgemeinheit
eins weiß, betonen geflissentlich den Kontrast.
Die theoretische Kunst braucht sie — als Aus-
druck eines tragischen Zwiespalts. Der Zustand
ist dem einer eben noch lebendigen Religion
beim Eintritt in den Dogmatisierungsprozeß
vergleichbar: der Priester, vorher ein Sohn des
Volkes wie jeder andere, nimmt die Berufs-
physiognomie an, die unterscheidende Maske,
das Stigma der Einzigartigkeit. Nächste Etappe:
der Künstler beginnt seine Instinkte zu bearg-
wöhnen, seine sinnlichen Werkzeuge objektiv
zu prüfen. Was früher naiv, im Vertrauen auf
die Sicherheit der unmittelbaren Erkenntnis
geschah, geschieht nun mit Bewußtsein, wird
Gegenstand der Vivisektion. Die Erscheinung
wird zergliedert, in ihre Urbestandteile aufge-
löst, angeblich vereinfacht, in Wahrheit ihrer
sinnlichen Elemente durch Abtötung enteignet.
— Sieg des begrifflichen Denkens über
die Totalanschauung. Im weiteren Verlauf
dieses Verfahrens usurpiert der Verstand dann
immer größere Gebiete des Lebens. Das Prä-
parat verdrängt das natürliche Objekt, das Ge-
künstelte und Gesuchte steigt in der Schätzung,
auch das Unzulänglichste wird zum Ereignis
gestempelt — Sieg des Experiments über