Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 53.1923-1924

DOI Artikel:
Niebelschütz, Ernst von: Vom deutschen Kunsttrieb
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9146#0262

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
AUSSTELLUNG FLECHTHEIM—WIEN. GEMÄLDE: PICASSO, MERKEL, DERAIN.

VOM DEUTSCHEN KUNSTTRIEB.

VON ERNST V. NIEBELSCHÜTZ.

Es ist — und zwar auf allen Gebieten intel- Sie schließt die innere Schau, das aktive Er-
lektueller Betätigung — eine hervorste- greifen und Bilden zwar nicht aus — denn ohne
chende Eigenschaft des deutschen Geistes, die dies käme ja ein künstlerisches Weltbild gar
Dinge dieser Welt nicht als schlechthin ge- nicht zustande — aber sie fordert es nicht als
geben hinzunehmen, sondern sie als aufge- die Hauptkomponente. Die wahrhaft bedeu-
geben zu betrachten. Mit andern Worten: er tenden Naturalisten unserer Kunst sind an den
rückt ihnen mit eigenen Forderungen auf den Fingern zu zählen, und meist bringen sie das
Leib, sucht sie von sich aus zu gestalten, um- Prinzip in einer ganz merkwürdig idealisti-
zuschaffen, ja geradezu aus dem Chaos neu sehen Umbiegung zur Geltung. Darum kann
zu gebären und seinem kosmischen Weltbilde man mit gutem Recht behaupten: der Natura-
selbstherrlich einzuordnen. Wie der Deutsche lismus — soweit er sich in seiner strengen Be-
mit Fichte den moralischen Willen als einen griffsdeutung auf den deutschen Geist über-
Meißel handhabt, unter dessen Schlägen das haupt anwenden läßt —ist bei uns immer nur ein
Natürliche erst sittlich wird, wie ihm mit Zwischenspiel gewesen: ein Kräftesammeln,
Nietzsche der Mensch nur als Brücke und Weg- in dem das Höher und Weiter schon beschlos-
weiser in „seiner Kinder Land" erscheint: so sen liegt. Und das ist das Eigentümlichste dabei:
tritt er auch als Bildner der Erscheinung in immer ist dieses Verweilen im schönen Augen-
einer grundsätzlich andern Stimmung gegenüber blick dem deutschen Denken als die größte
als in der des Beglücktseins über die Vollkom- aller ihm möglichen Gefahren, ja als die
menheit des objektiv bereits Vorhandenen. Sie eigentliche Sünde wider den Geist erschienen,
liegt tief in unserm nationalen Charakter be- Nur nicht rasten, nur nicht vom Zauber des
gründet, diese Abneigung, ein objektiv und be- Wirklichen sich einspinnen lassen I — das ist,
ziehungslos Seiendes überhaupt und gar als ausgesprochen oder nicht, der Leit- und Kern-
vollkommen anzuerkennen. Erst als Gegen- satz aller großen deutschen Denker, aber auch
stand für den bildenden Geist, erst als knet- der Dichter und Künstler gewesen. Nicht ohne
barer Ton in der Hand des Künstler-Gottes tiefen Grund sagt der griechenselige und darin
wird es wertvoll und aneignungswürdig: — „es doch so ungriechische, weil eben ganz deutsche
ist der Geist, der sich den Körper baut." Hölderlin: „Wir sind nichts; was wir werden,
Mit dieser Seelenanlage ist die naturalistische ist alles." — Darum bedeutet das Wort „Tra-
Sehform, die aus Bejahung des Realwertes der dition" bei uns etwas anderes als bei den Völ-
Dinge entspringt und sich im Beobachten und kern etwa der Mittelmeerkultur: weniger ein
Registrieren äußert, im Grunde unverträglich. Von-Hand-zu-Hand-Gehen feststehender allge-
 
Annotationen