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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 53.1923-1924

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Hardenberg, Kuno Ferdinand von: Wahlkunst: oder vom Wesen der Eleganz
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https://doi.org/10.11588/diglit.9146#0348

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Wahlkunst oder vom Wesen der Eleganz.

„ eleganter " Geist sein, ein Herz f ürEleganz haben
und das wählen was anzieht, erfreut, hebt, klärt,
erhellt, fesselt, anstatt der Menschheit das aufzu-
drängen, was sie nie wollte, nie wollen wird!

Eine herrliche Domäne der Kunst ist das
Nackte darzustellen. Das Nackte aus den
Kunstausstellungen verbannen wollen, hieße
Idiotie. Niemand wage es! Aber . . . ! Es
gibt Nachtseiten des Lebens, Geheimnisse des
Liebeslebens, die jeder Erwachsene kennt und
darum noch lange nicht in seinem Zimmer
hängen haben mag. Bewegen einen Künstler
solche Lebens-Reverse, soll ihm niemand die
Beschäftigung und Auseinandersetzung damit
verargen oder verkümmern. Heilig ist Eros,
heilig die Kunst! Aber eines kann man von
ihm verlangen: daß er seine Motive im rechten
Format am rechten Platze zeigt. Das ist ein
berechtigter Anspruch der Gesellschaft. Ein
eleganter Geist wird sich hüten, Sitten-Schilde-
rungen, erotische Irrungen, satirische Darstell-
ungen sittlichen Verfalls in Riesengemälden an
die Wand zu malen; wozu gibt es Mappen mit
Radierungen, geistvolle erotische Büchlein für
Sammler und Wissende, die in wohlbewachten
Schreinen sorgfältig dem unreifen Auge ver-
schlossen bleiben? Warum dergleichen Dinge,
wie es neuerdings in manchen öffentlichen
Kunstausstellungen geschieht, an den Wänden
aufhängen? Ist damit der Jugend gedient, für
die solche Ausstellungen doch vor allem Bil-
dungs- und Erziehungsmittel sind? Hätten
wir doch eine Polizeivorschrift, die Taktlosig-
keiten gegen die Öffentlichkeit ahndete, alle
die meist recht abgeschmackten Prozesse gegen
Künstler wegen angeblicher Unsittlichkeiten
waren damit billig erledigt.

Auch unsere Konversation ist vielfach im
Argen und nichts weniger als elegant: Die in-
tellektuellen Geister unserer Jugend gefallen
sich vorwiegend in einem abstrakten Wortge-
klaube, das weder elegant noch erbaulich ist;
da herrscht humorlose Rechthaberei oder gar
peinlich - zynische Spitzfindigkeit, die immer
weit über die Grenzen dessen hinausschießen,
was gesellschaftlich möglich und erträglich ist.
Nicht viel besser sind die gemütvollen oder
schwülstigen Enthusiasten, die überall einen
„feinen" oder „tiefen" Menschen entdecken
oder ein „großes Erlebnis" suchen und sich
gegenseitig befuseln und beduseln und wie Be-
trunkene durch das Leben wanken! Der ele-
gante Geist versteht es, dergleichen Unarten
zu vermeiden und weiß die Unterhaltung, ohne
je in Flachheit, Bosheit oder Langeweile zu
verfallen, immer so zu führen, daß sie sich
frisch, klar und bedeutend abwickelt.......

Warum ist unser Kunstgewerbe oft so wun-
derlich , so unverwendbar, so unbrauchbar für ein
„elegantes" Hauswesen? Eben weil es „unele-
gant" ist. Seit 5 Jahren gibt es keine Stickerei,
keine Lederarbeit, keine Schnitzerei ohne das
unvermeidliche Kaktus-Reh, die Arche Noah-
Palme und den dreieckigen Berg, ohne Struwwel-
peterfiguren im Fritzchen- und Spitzchenstil
Uüd Klein-Moritz-Idyllen von bald mehr ne-
groidem bald mehr chinesischem Einschlag!
Warum soviel Höhlen- und Urmenschentum?
Ist das denn das Beste und Größte? Wozu das
alles, wenn man Mond ist, wenn man schon
leihen und von vorhandenem wählen muß, wa-
rum da gerade das Kindischste, das Kultur-
loseste nehmen und immer wiederkäuen, warum
nicht bei feineren und bedeutenderen Lehrern
oder Epochen in die Lehre gehen, warum nicht
im gebundenen Schaffen der kategorischen For-
derung nach Eleganz nachgeben und Etwas
bringen, das von Wahlkunst, innerer Spannung
und innerem Rhythmus deutliche Kunde gibt.

Und nun noch ein Wort zur Kostenfrage der
Eleganz: sage mir keiner, wie können wir ele-
gant sein in unserer Armut! Es gibt eine Ele-
ganz in Lumpen, es gibt eine Eleganz im Fabrik-
anzug. Es ist nicht wahr, daß Eleganz kost-
spielig ist. Und sage mir keiner, es ist schwierig,
es ist verwickelt, es ist umständlich elegant zu
sein, woher die Zeit dazu nehmen? Echte Ele-
ganz ist nie kompliziert. Echte Eleganz ist, wie
alles Große und Bedeutende, einfach und klar,
und das Einfachste ist auch das Edelste und
wenn es gilt, dieses zu verwirklichen, ist die
Frage nach der Zeit gleichgültig.

Überall ertönt der Schrei nach dem Führer
und überall predigt man neue Rezepte zur syn-
thetischen Herstellung derselben. Umsonst!
Und doch ist die Sache so einfach: Werdet wäh-
lende Menschen, innerlich und äußerlich ele-
gante Männer und Frauen, hört auf, gemütvoll,
klebrig oder intellektuell zersetzend zu sein,
hört auf. Schlamperei für Tiefe und Zigeunerei
für Genialität zu kaufen, geht gespannt und frei,
geht froh in der eigenen sauberen Haut und
sicher eurer Instinkte und eurer Absichten
durchs Leben — ihr werdet sehen, wie man
euch nachfolgt! So sahen in der Vergangenheit
die aus, die man Herren und Damen nannte,
und die man schon beginnt, wehmütig zu ver-
missen, weil ihr kultureller Einfluß der vorbild-
losen Jugend fehlt, und weil man ihre unmerk-
liche Führerschaft in den kleinen Kreisen der
Gesellschaft braucht. So sahen aber auch die
größeren und bedeutenden Führer durch alle
Jammertäler und Paradiese 'dieser Erdenwelt
überhaupt aus! .... kuno graf v. Hardenberg.
 
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