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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 64.1929

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Michel, Wilhelm: Masken und Larven
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https://doi.org/10.11588/diglit.9254#0187

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GUDRUN BAUDISCH—WIEN

»KOPFE« WIENER WERKSTATTE

MASKEN UND LARVEN

Wir wissen heute wieder, daß die Motive,
die ein Künstler darstellt, wichtig sind
in bezug auf seine innere geistige Welt.

Als James Ensor in den 80er Jahren seine
Masken und Gespenster zu malen begann, fand
er nicht nur ein neues interessantes Malmotiv,
sondern auch ein neues Zeichen, eine neue Rune
zum Geistesausdruck der Zeit. Der Malweise
nach blieb er vor wie nach Impressionist, teilte
also die damals gültige künstlerische Weltan-
schauung. Aber dem Motiv nach brachten diese
Ensor'schen Darstellungen von Larven, Kobol-
den und vermummten Gestalten etwas Neues,
einen neuen, lesbaren Zug zur Physiognomie
der Zeit. Was kündigte sich darin an? Das
ist heute nicht mehr schwer zu erkennen. Wer
Masken malt, will sägen, daß er eine Empfin-
dung hat von einer Außenseite, von einer Fas-
sade, die hohl ist oder deren eigentlichen Inhalt
er nicht kennt. Er will von einem Schrecken,
von einer Fremdheit, mindestens von einer Un-
verständlichkeit sprechen, die darauf beruht,
daß irgend ein Etwas eine Schauseite zeigt, die

zu ihrem Inhalt in Gegensatz steht. Was ist das
für ein Etwas, um das es sich hier handelt? Es
ist dasjenige Etwas, um das es beim Künstler
immer geht: die Welt. Indem Ensor Masken
und Larven zu malen beginnt, spricht er das
moderne Fremdgefühl vor der Welt aus. Er
spricht das Eingeständnis aus, daß er, Bürger
einer gärenden, von allem Stolz des Menschen-
geistes durchherrschten Zeit, die Welt im Innern
nicht mehr „versteht", daß sie ihm unheimlich,
drohend, maskenhaft ist. Und dies deutet in der
Tat auf die wahre Lage der Zeit. Zwar begann
gerade die moderne Technik ihren Siegeslauf.
Die Naturwissenschaften rüsteten zu ihrem
großen Ausgreifen, in dessen Verlauf sie riesige
Weltgebiete der Erkenntnis und der mensch-
lichen Beherrschung erschlossen haben. Aber
das Weltverstehen, von dem wir hier sprechen,
liegt auf einer ganz anderen Ebene als die Welt-
erkenntnis der Naturwissenschaft und der Tech-
nik. Und dieses andersartige, grundlegende
Verstehen von Welt und Leben — das war es,
was dieser Zeit mitten in ihren großen Erfolgen
 
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