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Dörpfeld, Wilhelm [Hrsg.]
Troja und Ilion: Ergebnisse der Ausgrabungen in den vorhistorischen und historischen Schichten von Ilion 1870 - 1894 (Band 2) — Athen, 1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.1115#0001
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V. ABSCHNITT.
DIE BILDWERKE AUS MARMOR UND THON.

Ein Blick auf die geschichtliche Entwicklung von Ilion zeigt, dass die ganze
Blüte der Stadt in historischer Zeit nicht sowohl von innen heraus erwachsen,
als vielmehr das Werk auswärtiger Machthaber ist, die ein romantisches oder
politisches Interesse dazu vermochte, der Stadt, die sich da erhob, wo einst
die Heldeniaufbahn des Achilleus ihren Höhepunkt und ihr tragisches Ende ge-
funden, von wo Aencas die Fahrt nach dem Westen angetreten hatte, ihre
Fürsorge zuzuwenden. Man kann von vorn herein nicht erwarten, hier monu-
mentale Bildwerke anzutreffen, die älter wären als die Zeit der Diadochen
und dann wieder der julischen Kaiser, und auch die Werke dieser Zeit können
nicht die Bedeutung haben, dass sie Zeugnis ablegten von einer geschlossenen
an den Ort geknüpften Kunstentwicklung, für die es durchaus an den geschicht-
lichen Vorbedingungen fehlt; sie sind, wenn auch an Ort und Stelle ausgeführt,
im Grunde nur importirte Ware, die dem Mittelgut ihrer Entstehungszeit ent-
spricht, wo mit der Ausbreitung grosser Reiche und einheitlicher Kultur auch
eine allgemeine Durchschnittskunst sich entwickelte. Diese hat ja freilich die
Entstehung und Blüte ganz scharf charakteristischer Kunstschulen nicht gehin-
dert, wo sich wie in Pergamon die Bedingungen dafür fanden ; aber wo sie
fehlten, und das war auch in Ilion der Fall, da begegnet eben jener Durch-
schnittscharakter des allgemeinen Kunstvermögens der Zeit, der die Frage nach
der Individualität des Künstlers wie nach allem andern, was sonst den Wert
eines grossen Kunstwerkes von selbständiger Bedeutung ausmacht, gar nicht auf-
tauchen lässt, der selbst die genaue Datirung der Werke, wo nicht äussere Hilfs-
mittel hinzukommen, sehr unsicher, ja unmöglich macht. So hat es denn auch
kaum ein Interesse, all die zusammenhangslosen und arg verstümmelten Skulptur-
fragmente, die auf Hissarlik, im Gebiet der Unterstadt und auf den türkischen
Friedhöfen der Umgebung gefunden sind, einer genaueren Besprechung zu unter-
ziehen. Sie stellen sich im Grossen und Ganzen am nächsten zu den Marmor-
figürchen, Marmortischen und sonstigen Marmordekorationsstücken, mit denen in
Pompeii die Hallen und Gärten wohlhabender Privathäuser geschmückt waren;
die feisten Formen eines gelagerten Flussgottes in hohem Relief (jetzt in Kon-
stantinopel; die Abbildung «Troja» S. 239 N" 126 ist noch zu vorteilhaft. Länge
1,70™) gemahnen an die ähnlich weichliche Körperfülle gelagerter weiblicher
Brunnenfiguren, die in Magnesia am Maeander gefunden wurden; von irgend
bemerkenswerter Eigentümlichkeit ist nirgends die Rede.
 
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