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Dörpfeld, Wilhelm [Hrsg.]
Troja und Ilion: Ergebnisse der Ausgrabungen in den vorhistorischen und historischen Schichten von Ilion 1870 - 1894 (Band 2) — Athen, 1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.1115#0192
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602 X. Abschnitt; Das Homerische Troja. (W. Dörpfeld)

ben des Epos sollen lediglich dichterischer Phantasie entsprungen sein. Andere
geben zwar zu, dass dem Epos eine wirkliche Burg zu Grunde liege, glauben
diese aber in den Ruinen bei Bunarbaschi (im Skamanderthale südlich von Ilion)
erkennen zu müssen. Noch andere verlegen Troja nach Chiblak (südöstlich von
Ilion) oder sogar nach Alexandreia Troas. Dass auch Combinationen dieser ver-
schiedenen Ansichten unter den Gelehrten Vertreter finden oder wenigstens bis
vor kurzem fanden, kann uns bei der Natur der Frage nicht Wunder nehmen.

Fast das ganze letzte Jahrhundert hindurch ist zwischen den Vertretern die-
ser verschiedenen Ansichten ein oft heftiger Streit geführt worden. Während die
meisten deutschen Gelehrten entweder die ehemalige Existenz der Burg Troja
ganz leugneten oder aber in den Ruinen bei Bunarbaschi ein mehr oder min-
der getreues Urbild der homerischen Stadt sahen, waren es nur wenige engli-
sche und deutsche Reisende und Historiker, die für die Ansprüche der Bewohner
von Ilion und für die fast allgemeine Tradition des Altertums eintraten. In der
unteren Skamander-Ebene, auf dem nur wenige Kilometer vom Meere entfernten
Hüge! Hissarlik, an der Stelle, wo nach erhaltenen Ruinen und Inschriften sicher
die griechisch-römische Stadt Ilion gelegen hatte, suchten sie das homerische Troja.
Unter ihnen verdienen in erster Linie die Engländer Maclaren und G. Grote, und
die Deutschen G. v. Eckenbrecher und lulius Braun genannt zu werden.

Der lange erfolglos geführte Streit wäre gewiss unentschieden geblieben, wenn
nicht der Spaten zu Hülfe genommen, und so eine endgültige Entscheidung her-
beigeführt worden wäre. Schon als Frank Calvert die ersten Ausgrabungen auf
Hissarlik unternahm und historische und prähistorische Funde ans Licht brachte
(vgl. Athenaeum vom 7. Nov. 1874), und noch mehr, als Heinrich Schliemann
diese Ausgrabungen in grösserem Maasstabe fortsetzte und mehrere übereinander
liegende prähistorische Burgen aufdeckte, trat die grosse Bedeutung zu Tage, wel-
che die Baustelle von Ilion nicht nur in historischer, sondern auch in prähisto-
rischer Zeit für die ganze troische Ebene gehabt hat. Wie schon Frank Calvert
die Stelle von Hissarlik für das homerische Troja gehalten hatte, so zögerte auch
H. Schliemann nicht, in den von ihm aufgedeckten prähistorischen Ruinen die
Reste der Burg des Priamos zu erkennen.

Manche Gelehrte der verschiedensten Nationen traten schon damals auf
Schliemanns Seite. Selbst solche, welche die aufgedeckten Ruinen ans irgend wel-
chen Gründen nicht mit der Burg des Priamos gleichzusetzen vermochten, gaben
zu, dass die Lage der Burg im Allgemeinen für das homerische Troja sehr gut
passe. Einzelne hielten aber auch jetzt noch an der Meinung fest, dass die
Burg des Priamos bei Bunarbaschi angesetzt werden müsse.

Erst als durch die letzten Ausgrabungen Schliemanns im Jahre 1S90 auf der
Akropolis von Ilion ein Gebäude mit mykeuischen Scherben gefunden wurde, und
besonders als nach Schliemanns Tode durch die Ausgrabungen von 1893 und 1894
stattliche Reste einer grossen Burganlage aus mykenischer Zeit zu Tage kamen,
musste auch der letzte Zweifel verstummen. Durch diese Funde war unumstöss-
 
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