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SECHSTER GESANG

14.Mahl. Mesaulios verteilte das Brot. Ihn hatte Euniaios
450 während der Abwesenheit des Gebieters zu seinem Dienst ge-
kauft, ohne Auftrag seitens der Herrin und des alten Laertes;
er hatte ihn für sein eigenes Geld von den Taphiern erworben.
Sie langten nun nach den vor ihnen liegenden Speisen, und
als sie gegessen und getrunken, räumte Mesaulios ab; die
Hirten aber, satt vom Brot und Fleisch, verlangten nach dem
Lager.
Eine böse Nacht zog herauf, ohne Mondschein. Zeus ließ
immerfort regnen, und ein stürmischer, feuchter Westwind
wehte. Odysseus aber begann zu ihnen zu reden. Er wollte
460 sehen, ob ihm Eumaios, der so sehr für ihn sorgte, auch sei-
nen Mantel geben oder einen Gefährten dazu bewegen würde.
„Eumaios und ihr andern alle, hört einen Wunsch und eine
Geschichte! Mich treibt der betörende Wein, der selbst ernste
Männer veranlaßt, zu singen und zu lachen, zu tanzen und
zu erzählen, was besser unerzählt bliebe. Da ich nun mal
damit begonnen, will ich es nicht verschweigen. Wäre ich
doch so jung und hätte die ungeschwächte Kraft, wie damals,
als wir in der Nähe Trojas im Hinterhalt lagen! Führer
470 waren Odysseus, der Atride Menelaos und ich; sie selbst hat-
ten es so gewünscht. Als wir zur Stadt und zur hohen Mauer
gelangten, legten wir uns in dichtes Gesträuch und in das
Röhricht des Sumpfes, unter die Schilde geduckt. Eine böse,
eisige Nacht kam herauf. Der Nordwind hatte sich gelegt;
aber Schnee fiel vom Himmel, wie frostiger Reif, und Eis
setzte sich rings an die Schilde. Da hatten die andern alle
Mantel und Rock und schliefen ruhig, die Schultern von den
480 Schilden bedeckt. Ich aber hatte törichterweise den Mantel
bei den Gefährten gelassen; denn ich dachte ganz und gar
nicht, daß ich frieren würde, und war nur mit dem Schild
und im prächtigen Leibrock gefolgt. Als nun das letzte
 
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