320
ODYSSEUS ERZÄHLT SEINE IRRFAHRTEN
Skylla und Charybdis.
12. Als wir die Insel hinter uns ließen, sah ich alsbald das
Dampfen gewaltiger Wogen und hörte ihr Tosen. Die Ge-
fährten entsetzten sich; die Ruder entfielen ihren Händen und
rauschten in der Strömung. Das Schiff aber blieb stehen, als
sie die scharfkantigen Remen nicht mehr bewegten. Da ging
ich durch das Fahrzeug hindurch, trat an jeden heran und
sprach mit freundlichen Worten: ,,Freunde, wir sind ja in
Gefahren bewandert. Es bedroht uns keine größere, als da der
210 Kyklop mit seiner unbändigen Kraft uns in der gewölbten
Grotte eingesperrt hielt. Gleichwohl entgingen wir ihr durch
meine Tüchtigkeit und kluge Überlegung. Auch an diese
Stunde werden wir uns noch, wie ich hoffe, zu unsrer Freude
erinnern. Wohlan, tut jetzt alle, was ich sage! Ihr Ruderer,
bleibt bei euren Pflöcken und schlagt mit den Remen die
hohen Wogen; dir aber, unserm Steuermann, trage ich dies
auf; merke es dir genau! Halte das Schiff fern von dem Dampf
220 der Wogen und steure nach jenem Felsen, damit dir das Schiff
nicht entgleitet; du stürzt uns sonst ins Verderben.“
So sprach ich, und sie gehorchten. Von Skylla, der unab-
wendbaren Plage, sagte ich nichts, damit die Gefährten nicht
aus Furcht das Rudern vergäßen und sich im Schiff zusam-
mendrängten. Das leidige Gebot der Kirke aber, daß ich mich
nicht wehren sollte, beachtete ich nicht, sondern bewaffnete
mich mit der stattlichen Rüstung, nahm zwei lange Speere
230 zur Hand und trat auf das Vorderdeck. Denn ich erwartete,
daß die felsbewohnende Skylla dort erscheinen würde, um
die Gefährten zu verderben. Doch ich konnte sie nirgends
erblicken, und die Augen begannen von dem Umherspähn am
hellblinkenden Felsen zu schmerzen.
Seufzend durchfuhren wir die gefährliche Enge. Auf der
ODYSSEUS ERZÄHLT SEINE IRRFAHRTEN
Skylla und Charybdis.
12. Als wir die Insel hinter uns ließen, sah ich alsbald das
Dampfen gewaltiger Wogen und hörte ihr Tosen. Die Ge-
fährten entsetzten sich; die Ruder entfielen ihren Händen und
rauschten in der Strömung. Das Schiff aber blieb stehen, als
sie die scharfkantigen Remen nicht mehr bewegten. Da ging
ich durch das Fahrzeug hindurch, trat an jeden heran und
sprach mit freundlichen Worten: ,,Freunde, wir sind ja in
Gefahren bewandert. Es bedroht uns keine größere, als da der
210 Kyklop mit seiner unbändigen Kraft uns in der gewölbten
Grotte eingesperrt hielt. Gleichwohl entgingen wir ihr durch
meine Tüchtigkeit und kluge Überlegung. Auch an diese
Stunde werden wir uns noch, wie ich hoffe, zu unsrer Freude
erinnern. Wohlan, tut jetzt alle, was ich sage! Ihr Ruderer,
bleibt bei euren Pflöcken und schlagt mit den Remen die
hohen Wogen; dir aber, unserm Steuermann, trage ich dies
auf; merke es dir genau! Halte das Schiff fern von dem Dampf
220 der Wogen und steure nach jenem Felsen, damit dir das Schiff
nicht entgleitet; du stürzt uns sonst ins Verderben.“
So sprach ich, und sie gehorchten. Von Skylla, der unab-
wendbaren Plage, sagte ich nichts, damit die Gefährten nicht
aus Furcht das Rudern vergäßen und sich im Schiff zusam-
mendrängten. Das leidige Gebot der Kirke aber, daß ich mich
nicht wehren sollte, beachtete ich nicht, sondern bewaffnete
mich mit der stattlichen Rüstung, nahm zwei lange Speere
230 zur Hand und trat auf das Vorderdeck. Denn ich erwartete,
daß die felsbewohnende Skylla dort erscheinen würde, um
die Gefährten zu verderben. Doch ich konnte sie nirgends
erblicken, und die Augen begannen von dem Umherspähn am
hellblinkenden Felsen zu schmerzen.
Seufzend durchfuhren wir die gefährliche Enge. Auf der