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VORWORT

Die Ithaka-Frage, deren Klärung ich mit der Herausgabe dieses Buches anstrebe, ist
im weiteren Sinne und in ihrer wahren Bedeutung eine Homer-Frage. Die Lösung
des Ithaka-Rätsels gibt uns ein wesentliches Mittel in die Hand, um den Schleier zu
lüften, der seit langer Zeit über das grosse Heldenlied der Odyssee — das Lied von
der Heimkehr des Odysseus —■ gebreitet lag, und der uns zugleich die Persönlichkeit
ihres Dichters verhüllte. Wenn es gelingt nachzuweisen, dass die geographischen An-
gaben der Odyssee mit der Wirklichkeit durchaus übereinstimmen, wenn sich ferner
die Schilderungen der Kunst und Kultur im Epos mit den Funden aus den Schichten
der Zeit des trojanischen Krieges decken, so kann die Folgerung nicht abgelehnt
werden, dass Homer die Landschaften selbst gekannt hat, die er so genau beschreibt,
und dass er in jener Zeit lebte, von deren Kultur er uns ein so zutreffendes Bild gibt.
In diesem Sinne gewinnt der Beweis umfassende Bedeutung, dass die heutige Insel
Leukas das homerische Ithaka war und dass alle Angaben des Dichters über die Lage
der Heimat des Odysseus und über alle Landmarken der Insel bis auf alle Einzelheiten
auf Leukas ihre Bestätigung finden. Die Wichtigkeit dieser Einzelfrage für das ge-
samte Homer-Problem zwingt deshalb einmal zur gründlichsten Untersuchung und
Erforschung der geographischen Grundlagen. Sie führt weiter dazu, über das geo-
graphische Gebiet hinaus die Ausgrabungsfunde mit den homerischen Schilderungen
der Kunst und Kultur seiner Zeit zu vergleichen.

Ich bin mir bewusst, dass die Ergebnisse meiner durch fast 50 Jahre diesen Fragen
gewidmeten Forscherarbeit im schroffen Gegensatz zum bisher gültigen Homer-Dogma
stehen, das den Dichter in einer mehrere Jahrhunderte späteren Zeit leben lässt. Alte
Sagen und Mythen soll Homer zu dem Epos des Odyssee gestaltet haben, das also
im wesentlichen das Werk einer begnadeten Dichterphantasie gewesen sein soll. Ich
halte es aber für notwendig, zu erklären, dass ich dieses Dogma erst dann anzufechten
gewagt habe, als ich nach langjährigen Studien feststellen musste, dass alle Angaben
Homers sich mit der geographischen Wirklichkeit im einzelnen deckten, und als die
Ausgrabungstätigkeit auch die gleiche Uebereinstimmung mit den übrigen Schilde-
rungen des Epos brachte. Aus dieser Erkenntnis musste nicht nur das Recht sondern
auch die Pflicht gefolgert werden, sich vom Dogma frei zu machen und ohne Vorurteil
die Dinge zu erforschen, wie sie immer klarer sich zeigten.

An die Spitze des Buches setze ich die Worte, die Athena an Odysseus richtet,
als er nach zwanzigjähriger Abwesenheit in der einsamen Phorkys-Bucht erwacht
und seine Heimat nicht wieder erkennt: „Nun aber will ich Dir Dein Ithaka zeigen,
damit Du überzeugt bist". Es wäre der schönste Lohn meiner Forscherarbeit, wenn
das vorliegende Werk der Mitwelt und Nachwelt die wahre Heimat des Odysseus
zeigen würde, damit sie Vertrauen hegt zu den Wahrheiten des homerischen Helden-
liedes, das hierdurch noch grösser und wertvoller für uns werden muss.

VI
 
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