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https://doi.org/10.11588/diglit.5422#0016
I. ABSCHNITT
GESCHICHTE DEE ITHAKA-FKAGE
Von Wilhelm Dörpfeld
Eine Ithaka-Frage im heutigen Sinne hat es im Altertum noch nicht gegeben.
Weder wurde die Existenz einer homerischen Insel Ithaka als Heimat des Odysseus
bezweifelt, noch über ihre Lage gestritten. Solche Erweiterungen der Ithaka-Frage
gehören erst der Gegenwart an. Im ganzen klassischen Altertum trug die heutige
Insel Ithaka oder Thiaki, wie sie im Volksmunde heisst, mit Stolz ihren homerischen
Namen und galt, soweit wir wissen, unbestritten als wirkliche Heimat des Odysseus.
Sie war die kleinste der vier grossen Inseln, die damals, ebenso wie heute, westlich
vor dem Golfe von Korinth als besondere Inselgruppe lagen, galt aber als die be-
rühmteste unter ihnen, weil auf ihr nach Aussage des homerischen Epos Odysseus,
der Oberkönig der vier Inseln, gewohnt hatte.
Umstritten waren dagegen im klassischen Altertum, ebenso wie heute, die home-
rischen Namen von zwei Nachbarinseln Ithakas. Denn von jenen vier grossen Inseln
hatte ausser Ithaka nur noch Zakynthos seinen homerischen Namen behalten; die
beiden anderen Inseln trugen damals schon die heutigen Namen Kephallenia und
Leukas oder Leukadia, während Homer neben Ithaka und Zakynthos mehrmals zwei
andere Namen nennt, nämlich das Inselpaar AotAi/iöv xe £a|arj te. Es hätte nahe
gelegen, diese beiden homerischen Inseln (Dulichion und Same) in den beiden Inseln
mit den neuen Namen (Kephallenia und Leukas) wiederzuerkennen. Zu unserer Ueber-
raschung tut das aber fast niemand, weder im Altertum, noch in der Gegenwart. Die
Insel Leukas wurde und wird merkwürdigerweise von fast allen Gelehrten nicht zu
den vier homerischen Inseln gerechnet, weil sie, wie man behauptet, zur Zeit Homers
noch keine Insel gewesen sei. So fehlt ihnen eine der vier homerischen Inseln, und
daher streitet man seit mehr als zweitausend Jahren darüber, wo die beiden jetzt
nicht mehr vorhandenen Inseln Dulichion und Same einst gelegen haben. Wir kommen
auf diese Frage zurück.
Umstritten war weiter im Altertum und in der Gegenwart die Lage der einzelnen
Landmarken auf Ithaka, weil die Angaben Homers über die Lage der Stadt Ithaka
und über die Berge, Häfen und Quellen der Insel sich mit den Landmarken von
Thiaki nicht restlos in Einklang bringen Hessen. Infolgedessen sind in den letzten
zwei Jahrtausenden, wie wir sehen werden, viele Bücher mit sehr verschiedenen
Theorien über die Topographie der Insel Ithaka geschrieben worden. Aus dem Alter-
GESCHICHTE DEE ITHAKA-FKAGE
Von Wilhelm Dörpfeld
Eine Ithaka-Frage im heutigen Sinne hat es im Altertum noch nicht gegeben.
Weder wurde die Existenz einer homerischen Insel Ithaka als Heimat des Odysseus
bezweifelt, noch über ihre Lage gestritten. Solche Erweiterungen der Ithaka-Frage
gehören erst der Gegenwart an. Im ganzen klassischen Altertum trug die heutige
Insel Ithaka oder Thiaki, wie sie im Volksmunde heisst, mit Stolz ihren homerischen
Namen und galt, soweit wir wissen, unbestritten als wirkliche Heimat des Odysseus.
Sie war die kleinste der vier grossen Inseln, die damals, ebenso wie heute, westlich
vor dem Golfe von Korinth als besondere Inselgruppe lagen, galt aber als die be-
rühmteste unter ihnen, weil auf ihr nach Aussage des homerischen Epos Odysseus,
der Oberkönig der vier Inseln, gewohnt hatte.
Umstritten waren dagegen im klassischen Altertum, ebenso wie heute, die home-
rischen Namen von zwei Nachbarinseln Ithakas. Denn von jenen vier grossen Inseln
hatte ausser Ithaka nur noch Zakynthos seinen homerischen Namen behalten; die
beiden anderen Inseln trugen damals schon die heutigen Namen Kephallenia und
Leukas oder Leukadia, während Homer neben Ithaka und Zakynthos mehrmals zwei
andere Namen nennt, nämlich das Inselpaar AotAi/iöv xe £a|arj te. Es hätte nahe
gelegen, diese beiden homerischen Inseln (Dulichion und Same) in den beiden Inseln
mit den neuen Namen (Kephallenia und Leukas) wiederzuerkennen. Zu unserer Ueber-
raschung tut das aber fast niemand, weder im Altertum, noch in der Gegenwart. Die
Insel Leukas wurde und wird merkwürdigerweise von fast allen Gelehrten nicht zu
den vier homerischen Inseln gerechnet, weil sie, wie man behauptet, zur Zeit Homers
noch keine Insel gewesen sei. So fehlt ihnen eine der vier homerischen Inseln, und
daher streitet man seit mehr als zweitausend Jahren darüber, wo die beiden jetzt
nicht mehr vorhandenen Inseln Dulichion und Same einst gelegen haben. Wir kommen
auf diese Frage zurück.
Umstritten war weiter im Altertum und in der Gegenwart die Lage der einzelnen
Landmarken auf Ithaka, weil die Angaben Homers über die Lage der Stadt Ithaka
und über die Berge, Häfen und Quellen der Insel sich mit den Landmarken von
Thiaki nicht restlos in Einklang bringen Hessen. Infolgedessen sind in den letzten
zwei Jahrtausenden, wie wir sehen werden, viele Bücher mit sehr verschiedenen
Theorien über die Topographie der Insel Ithaka geschrieben worden. Aus dem Alter-