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58 I. Abschnitt: Geschichte der Ithaka-Frage. (W. Dörpfeld)

Geographen und Historikern reqhnen und aus den beiden grössten Epen der Welt-
literatur geographische, geschichtliche und kulturgeschichtliche Lehrbücher machen.
Ich weiss mich aber von solcher Beschränktheit frei. Ich erkenne und bewundere das
Kunstwerk vielleicht gerade deshalb noch mehr als mancher von denen, die in Homer
nur den Gestalter alter Mythen sehen, weil ich gefunden und empfunden habe, mit
welcher Genialität der Dichter aus Tatsachen, Vorgängen, Menschen, Charakteren ein
planmässig aufgebautes, psychologisch und dramatisch aufs feinste durchgeführtes
Kunstwerk gestaltet hat, das gleichzeitig ein so plastisches und vielseitiges Bild seiner
Zeit gibt. Wie ich schon mehrfach erwähnte, bin ich bei meinen Forschungen nicht
etwa von der Unumstösslichkeit der homerischen Angaben ausgegangen, ich habe
vielmehr aus zahlreichen Uebereinstimmungen der Dichtung mit der Wirklichkeit das
Recht zu weiteren Prüfungen und Forschungen abgeleitet. Und wenn ich hierbei
schliesslich zu dem Ergebnis gekommen bin, dass wir in den beiden grossen Epen nicht
nur die Kunstwerke ehrwürdig bewundern müssen, sondern in ihnen auch unschätzbare
Quellenwerke zum Studium ältester menschlicher Kultur erblicken dürfen, so kann
ich nicht verstehen, wieso durch solche Erkenntnis der Dichter irgendwie herab-
gesetzt werden soll. Ich hoffe vielmehr, dass bald die Zeit kommen wird, in der
meine Arbeiten als ein positiver Gewinn zur Bewertung der Odyssee und ihres
Dichters allgemein anerkannt und dass die Meinungen verstummen werden, die mir
heute eine negative Zerstörungsarbeit vorwerfen.

Mir scheint die lange Geschichte der Ithaka-Frage, wie ich sie in diesem Abschnitt
dargelegt habe, kein Euhmesblatt in der Geschichte der Altertumswissenschaft zu
sein. Jahrhundertelang haben Philologen vieler Nationen an der Ithaka-Frage ge-
arbeitet, ohne die einfache Frage nach den Namen der vier odysseischen Inseln richtig
beantworten zu können. Und jetzt, nachdem die klare Lösung gefunden ist, sträuben
sich die meisten noch immer, ihre Richtigkeit anzuerkennen. Die neueste Behandlung
der Leukas-Ithaka-Theorie in der Real-Enzyklopädie von Pauly-Wissowa-Kroll (1925,
2213) ist ein schlagender Beleg für meine Auffassung. In dem Artikel wird, wie ich
oben darlegte, zwar von dem Geologen und Geographen Prof. Maull Leukas als vierte
homerische Insel offen und ohne Bedenken anerkannt, aber der Philologe Professor
Bürchner kümmert sich in demselben Artikel um dies fachmännische Urteil nicht,
sondern erklärt Leukas ohne Bedenken für eine homerische Halbinsel und demnach
das heutige Ithaka für die Heimat des Odysseys.

Indem ich hiermit die in mancher Hinsicht lehrreiche Geschichte der Ithaka-Frage
abschliesse, möchte ich der Hoffnung Ausdruck geben, dass sie keine lange Fort-
setzung mehr finden möge. Diese Hoffnung wird sich nur erfüllen, wenn die Philo-
logen und sonstigen Homerforscher die Lehren der geologischen Forschung beachten
und mit Prof. J. Partsch und mir Leukas als vierte homerische Insel anerkennen, und
wenn sie weiter die wichtige Tatsache beherzigen, dass ich meine Leukas-Ithaka^
Theorie nicht nur theoretisch bewiesen, sondern auch durch Ausgrabungen bekräftigt
habe, indem ick die Stadt des Odysseus tatsächlich auf der Insel und an der Stelle
durch Gräbungen nachwies, die ich auf Grund der Angaben des Epos bestimmt hatte.
 
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