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Ebhardt, Bodo
Über Verfall, Erhaltung und Wiederherstellung von Baudenkmalen mit Regeln für praktische Ausführungen — Berlin, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.24729#0017
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wo jedes Kunstgefühl, wenigstens auf architektonischem Gebiete,
vollständig abhanden gekommen war, die Zeit der ersten Jahr-
zehnte nach dem Erlöschen des Empirestils, erst diese begann
in dem Gefühle ihrer gänzlichen Ohnmacht nicht eine voraus-
setzungslose neue Kunst zu erfinden, sondern mit einer über-
schwänglichen Begeisterung' auf die weit zurückliegende Kunst-
übung des Mittelalters als Vorbild für Wiederherstellungen sowohl
wie für Neubauten zurückzugreifen. Eine ganze Reihe von Kirchen
und Burgen wurden gothisch wieder hergestellt, und mit der Einseitig-
keit der Fanatiker bekämpften diese ersten Wiederhersteller jede
Kunstleistung, welche eine andere als die gothische Zeit geschaffen
hatte. Grabsteine, Wandgemälde, ja ganze Einbauten und An-
bauten der Renaissance- oder Barockzeit wurden aus dem gothischen
Kern herausgeworfen, und auf diese Weise sind unschätzbare
Kleinode dem Untergang geweiht worden, um Neuschöpfungen
Platz zu machen, die, in einer schwächlichen Zeit geboren, von
ungeübten Künstlern ausgeführt und dem Segen einer geschulten
Kritik nicht unterworfen, uns heute als ebenso viele Armuts-
zeugnisse jener Periode erscheinen.

Ich erinnere mich noch heute mit Schmerzen, wie ich selbst
in meiner Schulzeit Zeuge war, wie im Chor des Kölner Domes,
an dem doch die ersten Kräfte der Nation wirkten, ein schönes
grosses Renaissance-Denkmal abgebrochen wurde, ein Tempelchen
aus gelbem und blauem Marmor, das keine andere Schuld auf
sich geladen hatte, als dass es ein Renaissancebau in einer gothischen
Kirche war. AVer hat nicht schon ähnliche Barbareien erlebt!
Natürlich haben sie nicht dazu beigetragen, solche Wieder-
herstellungen beliebt zu machen.

Nun aber zu dem positiven Schaffen der Wiederherstellungen
jener Zeit. Halten wir uns an die besten Beispiele, z. B. an die
Arbeiten auf der Veste Coburg, auf der Wartburg, an die damals
wieder aufgebauten rheinischen Burgen! Ja, heute fragen wir uns,
wie war es möglich, dass ein nur leidlich gewissenhafter Architekt
solche Dinge bauen konnte, solche Wiederherstellung als echten
und wahren Ausdruck der mittelalterlichen Baukunst ausgeben,
ohne dass ein einhelliger Protest der gesamten gebildeten Welt
dagegen sich erhob?

Ich glaube, die Gründe sind naheliegende. Die Architekten

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