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Richter, Ludwig; Eckert, Karla
Die heilige Genoveva — Der Kunstbrief, Band 36: Berlin: Mann, 1946

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https://doi.org/10.11588/diglit.72964#0008
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rechter Märchenwald, den Richter um die Genovevagruppe
aufbaut, der geeignete Aufenthaltsort für Liebende, unschul-
dig Verfolgte, Heilige und Kinder.
In solchem Walde verloren sich Jorinde und Joringel
unter dem Klagen der Turteltaube in den Bannkreis der
Zauberin, in ihm fand der Königssohn das Marienkind in
einem hohlen Baume sitzend, lebte das Schwesterchen mit
ihrem Reh. Nur fehlt in dem romantischen Walde Richters
das gefahrbringende Moment, das in den alten Volksmärchen
immer sichtbar bleibt, wie Richter ja auch aus der Legende,
so genau er sonst ihren Wortlaut illustriert, nur die idylli-
schen Züge herausgreift.
Oder könnte man sich vorstellen, daß Hexen und Zauberer
diesen Wald bevölkern, daß das anmutig dahinplätschernde
Wasser eine verzaubernde Wirkung haben könnte, oder auch
nur Kälte und Sturm das liebliche Blühen ringsum zerstören
dürften? Von keinerlei Wandel und Gefahr sind der Frieden
und die Schönheit dieses Waldes bedroht.
Das Genovevabild in der Hamburger Kunsthalle (Abb. 1) ist
in der Zeit der schönsten Reife des Malers entstanden, als die
endgültige Loslösung von Italien und die Entdeckung der
deutschen Landschaft seiner Kunst einen neuen Aufschwung
schenkten. Es wurde im Mai 1841 vom Sächsischen Kunst-
verein für 230 Taler „mit allgemeiner anerkennender Zu-
stimmung zum Ankauf angenommen" und war zur Verlosung
bestimmt. Aber ein langer Weg, mancherlei Entwicklung des
Menschen und Künstlers mußten zurückgelegt werden, bis
es dahin kam.
Ludwig Richter ist am 28. September 1803 als ältestes
von drei Kindern des Kupferstechers August Richter in
Dresden geboren worden. In engen und freudlosen Verhält-
nissen wächst er auf. Der Vater arbeitet Radierungen und
Sepiazeichnungen für die Werkstatt des Akademieprofessors
und Landschafters Adrian Zingg. Zu diesen Arbeiten wird
auch der Sohn früh herangezogen. „Meine Jugend war arm,
verkümmert, vielfach bedrückt, und meine Lehrzeit war nur
Arbeitszeit gewesen", urteilt der Maler später über diese Zeit.

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