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Richter, Ludwig; Eckert, Karla
Die heilige Genoveva — Der Kunstbrief, Band 36: Berlin: Mann, 1946

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https://doi.org/10.11588/diglit.72964#0010
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Rom bedeutete für die Kulturwelt in der Zerrissenheit
und kleinbürgerlichen Enge des damaligen Deutschlands so
etwas wie das einigende nationale Element. Nach Rom war
um 1810 eine Gruppe junger Maler im Protest gegen den
manierierten Spätbarock der Wiener Akademie gewandert.
Sie suchten eine naturnähere Malerei, als man sie damals
auf den Akademien lehrte, und wollten die Kunst der Maler
vor Raffael und Dürer in ihrer strengen Schönheit und tiefen
Gläubigkeit wieder aufleben lassen. Ihr Ideal war ebenso
sehr künstlerischer wie ethischer Natur. „Andacht und Liebe"
und die „innigste stille Begeisterung" für die Kunst hätten
den alten deutschen und italienischen Malern die Hand ge-
führt, meinten sie; um Bilder wie sie malen zu können, müßte
man auch wie sie ein ernster frommer Mensch werden und
seiner künstlerischen Aufgabe mit Hingabe dienen. Alle
malerischen Reize, die das Rokoko bis zur Raffinesse aus-
gebildet hatte, wurden als Effekthascherei und sinnliches
Gaukelspiel aus ihren Bildern verbannt. „Der Bleistift konnte
nicht hart, nicht spitz genug sein, um die Umrisse bis ins
feinste Detail fest und bestimmt zu umziehen", dagegen war
der Malkasten nicht größer „als ein kleiner Papierbogen".
Ein neuer deutscher Kunststil, auf Schönheit und Beseelt-
heit der Linie beruhend, war aus den Bestrebungen der
Nazarener, wie man sie spottend nannte, entstanden und
hat seine schulbildende Kraft durch fast ein halbes Jahr-
hundert behauptet. Von Rom aus, dessen formenstrenge
Landschaft und schöner, naturhafter Menschenschlag den
Kunstabsichten der Nazarener sehr entgegenkam, breitete
sich die Bewegung aus. Nach Rom wallfahrte in jenen Jahr-
zehnten alles, was jung und nach Kunst begierig war. Das
deutsche Element war damals in Rom so ausschlaggebend,
daß man nicht mit Unrecht vom „deutschen Rom" sprach.
Den 20jährigen Richter ziehen damals vor allem die Land-
schaften des Tirolers Joseph Anton Koch und die Bilder
Schnorrs von Carolsfeld an. Koch ist ihm fast zu heroisch,
„und obgleich ich dies gar wohl nachempfinden, ja davon
entzückt werden konnte, so erwuchs solches doch weniger

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