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Ehmer, Hermann; Stadtarchiv <Schwäbisch Gmünd> [Editor]
Geschichte der Stadt Schwäbisch Gmünd — Stuttgart, 1984

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https://doi.org/10.11588/diglit.42374#0355
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Der Anfang vom Ende. Politische Strukturen der Reichsstadt im 18. Jahrhundert

der Beiziehung bei neuen Steuererhebungen zu Benehmung alles bis dahero fürge-
dauerten ungegründeten Mißtrauens.29 Von allerhöchster Stelle aus war somit dem
Anrecht der Bürger auf mehr Überprüfbarkeit und Transparenz der Finanzverwal-
tung stattgegeben worden; sicher aus der Erkenntnis heraus, daß der magistratische
Schlendrian die Bevölkerung andernfalls zu weitaus gefährlicheren Aktivitäten als
bisher geschehen treiben könnte. Besonders in den siebziger Jahren konnten die Syn-
dici ihre kontrollierende Tätigkeit frei und ungehindert entfalten;30 und 1787 stellten
sie sich erfolgreich gegen das Ansinnen, den jährlichen Schwörtag nur noch alle drei
Jahre stattfinden zu lassen.31 Aus einem ursprünglich begrenzten Aufgabenbereich
war ein Mitspracherecht in allen wichtigen öffentlichen Angelegenheiten geworden.
Was schon längst Realität geworden war, mußte der Magistrat am Ende der Reichs-
stadtzeit unter dem Druck der Verhältnisse und aufgrund dauernder Vorstellungen
des bürgerlichen Kollegiums formell eingestehen, daß in all und jeder das gemeine
Wesen angehenden Angelegenheit, Vorstellungen und Anträge willig angehört und
hierauf nach Tunlichkeit darauf reflektiert werden solle und wolle?2 Nicht zuletzt
bot die außenpolitische Entwicklung den Bürgerkonsulenten eine Handhabe zur
Durchsetzung ihrer Forderung nach offenem Geschäftsgang, denn für die Aufbrin-
gung der der Stadt als Folge des Waffenstillstandes zwischen Frankreich und dem
Schwäbischen Kreis vom 30. Juli 1796 auferlegten Kontributionsleistungen wollte
und konnte der Magistrat in der angespannten Lage nicht die alleinige Verantwor-
tung übernehmen. Rigoros verweigert wurde jedoch die Einsichtnahme in das Revi-
sionswesen der städtischen Kassen und die jährlichen Bilanzen — ganz einfach des-
halb, weil die letzteren aus Nachlässigkeit seit Jahren nicht mehr aufgestellt worden
waren.33 Ein weiteres bedeutungsvolles Ergebnis dieser innerstädtischen Verfas-
sungskämpfe war die Anerkennung der 1707 von Ratskonsulent Eustachius Jeger als
zunächst für den Privatgebrauch gedachten Zusammenstellung alter Rechte und Sta-
tuten als offizielle Stadtrechtssammlung. Dieses Rechtsbuch erhielt im Laufe der Zeit
als »Magna Charta« Schwäbisch Gmünds fast sakrosankten Charakter. Beim Über-
gang Gmünds an Württemberg 1802 wurde die »Periphrasia« wie ein Staatsgeheim-
nis gehütet, und der wiirttembergische Regierungskommissar Sattler registrierte
einigermaßen verwundert: . . . und was wohl das sonderbarste ist, so macht der
Magistrat allhier aus einer Gesetzessammlung, die Jeger’sche Periphrasia genannt. . .
dem Kaiser Nero gleich ein solches Geheimnis, daß selbst den hiesigen Advokaten, die
schon um die Gestattung der Einsicht derselben gebeten haben, solche inzwischen
verweigert worden ist?4
 
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