Aber was ist das alles ohne die Handschrift? Nicht die Farbe allein, sondern ihre graphi-
sche Verwendung ist das Schönste in Rubens^*). Es ist ein nie bestrittener Ruhm der Künst-
ler germanischen Blutes, daß von den Verschlingungen der Fibeln und Beschläge an immer
die nordischen Menschen die Ornamente des Bewegten, Vielfältigen und Strömenden
gesetzt haben. Rubens, der als Graphiker mit der Kreide, mit dem Bleistift, mit der Feder
zwar herrliche Blätter gezeichnet hat, aber doch neben den Großmeistern Dürer und Rem-
brandt nur eine beschränkte Zahl solcher Blätter hinterlassen hat, steht völlig allein als
Graphiker mit der Farbe. Denn der unvergleichliche Zauber seiner Skizzen, und auch
seiner ausgeführten Werke, beruht darauf, daß er mit dem Farbauftrag zugleich die Form-
bestimmung, zugleich Umriß, Höhe, Bewegung, Leuchtkraft der zu gebenden Gestalt fest-
legte. Und wenn wir darüber nachgedacht haben, ob die Möglichkeit, so viele Bildstoffe
zu bewältigen, mit der Umsetzung in die malerische Wiedergabe zusammenhängt, so können
wir hier mit weit größerer Bestimmtheit sagen: daß auf dieser graphischen Begabung, auf
der Genialität, mit-Farbe-zu-schreiben, die Möglichkeit beruhte, unendlich Vieles zu schaf-
fen und doch immer der gleiche Rubens zu bleiben. Das Geheimnis der Ichkraft, der Per-
sönlichkeitskraft von Rubens beruht hierin. Und es ist völlig unmöglich, hier etwa nach
„geistiger Kraft" und „handwerklicher Geschicklichkeit" trennen zu wollen. Die geistige
Kraft von Rubens, der Tanz und die Grazie der Farben, das Beseligende der Vollendung ist
in seinen Pinselzügen, in seinen Bildern vorhanden, sonst nirgends. Auch seine Einstellung
zum Bildstoff selbst ist von allem Anfang an nicht grüblerisch, sondern rhythmisch, takt-
mäßig, reimartig.
Farbe und Pinselstrich schweben auf dem geschliffenen Kreidegrund, der nicht nur den
Geist anregt (wie Rubens selbst bekannte), sondern wirksam und bestimmend bleibt für
das ganze Bild. Nicht die letzt-aufgetragene Farbe gilt allein, sondern alle Lasuren vorher
auch noch, und unterhalb aller Farben die Spiegelfläche des Grundes. Das Licht wird nicht
von der letzten Oberfläche allein aufgesogen und zurückgeworfen, sondern sinkt ein und
kommt aus dem Grunde zurück, so daß die Farbfläche eigentlich durchsichtig ist. Es ist
wie eine Glasmalerei.
Das alles zusammen: der gläserne Grund, die durchsichtige Farbe, die rhythmische Zeich-
nung, machen aus einem Rubensbild etwas einem Kirchenfenster Ähnliches. Rubens hat das
gewußt und gewollt. Sowohl in der Frühzeit wie in der Spätzeit hat er so gemalt, daß um
bestimmte und feste Farbteile ein Grundstreifen stehen bleibt. Wenn er Trauben malt:
bei ihm schließt nicht eine Beere an die andere oder vor die andere, sondern um jede Beere
bleibt ein schmaler Streif, wie der Bleistreifen um das farbige Glasstück eines Fensters.
Wenn er in der Spätzeit Manschetten oder Kragen malt, diese Sprühregen, dann sitzen die
einzelnen Raffungen und Bauschungen nicht übereinander, sondern getrennt durch die
gleichen Auslassungen. Eine Perlenkette, ein Ärmel, eine weiße Spitze ist in einem Rubens-
bild nicht durch ein zusammenhängendes Muster aneinander gebunden, sondern die Bild-
fläche hängt unter sich zusammen, sie hat eine Oberflächenspannung. Eines entzündet sich
am anderen, es ist wie ein fortzeugendes, fortschießendes Brennen durchs ganze Bild.
Wenn man an einer Stelle das Bild berührt hat, erklingt das ganze System auf einmal; das
Geflecht der Klangfiguren pflanzt sich überallhin fort. Aber das eine ist mit dem anderen
nicht verbunden durch Linien, sondern durch die Transzendenz des Ornamentalen. Auch
die spätesten Rubensbilder hören nicht auf, letzten Endes Ornamente zu sein, freilich in
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sche Verwendung ist das Schönste in Rubens^*). Es ist ein nie bestrittener Ruhm der Künst-
ler germanischen Blutes, daß von den Verschlingungen der Fibeln und Beschläge an immer
die nordischen Menschen die Ornamente des Bewegten, Vielfältigen und Strömenden
gesetzt haben. Rubens, der als Graphiker mit der Kreide, mit dem Bleistift, mit der Feder
zwar herrliche Blätter gezeichnet hat, aber doch neben den Großmeistern Dürer und Rem-
brandt nur eine beschränkte Zahl solcher Blätter hinterlassen hat, steht völlig allein als
Graphiker mit der Farbe. Denn der unvergleichliche Zauber seiner Skizzen, und auch
seiner ausgeführten Werke, beruht darauf, daß er mit dem Farbauftrag zugleich die Form-
bestimmung, zugleich Umriß, Höhe, Bewegung, Leuchtkraft der zu gebenden Gestalt fest-
legte. Und wenn wir darüber nachgedacht haben, ob die Möglichkeit, so viele Bildstoffe
zu bewältigen, mit der Umsetzung in die malerische Wiedergabe zusammenhängt, so können
wir hier mit weit größerer Bestimmtheit sagen: daß auf dieser graphischen Begabung, auf
der Genialität, mit-Farbe-zu-schreiben, die Möglichkeit beruhte, unendlich Vieles zu schaf-
fen und doch immer der gleiche Rubens zu bleiben. Das Geheimnis der Ichkraft, der Per-
sönlichkeitskraft von Rubens beruht hierin. Und es ist völlig unmöglich, hier etwa nach
„geistiger Kraft" und „handwerklicher Geschicklichkeit" trennen zu wollen. Die geistige
Kraft von Rubens, der Tanz und die Grazie der Farben, das Beseligende der Vollendung ist
in seinen Pinselzügen, in seinen Bildern vorhanden, sonst nirgends. Auch seine Einstellung
zum Bildstoff selbst ist von allem Anfang an nicht grüblerisch, sondern rhythmisch, takt-
mäßig, reimartig.
Farbe und Pinselstrich schweben auf dem geschliffenen Kreidegrund, der nicht nur den
Geist anregt (wie Rubens selbst bekannte), sondern wirksam und bestimmend bleibt für
das ganze Bild. Nicht die letzt-aufgetragene Farbe gilt allein, sondern alle Lasuren vorher
auch noch, und unterhalb aller Farben die Spiegelfläche des Grundes. Das Licht wird nicht
von der letzten Oberfläche allein aufgesogen und zurückgeworfen, sondern sinkt ein und
kommt aus dem Grunde zurück, so daß die Farbfläche eigentlich durchsichtig ist. Es ist
wie eine Glasmalerei.
Das alles zusammen: der gläserne Grund, die durchsichtige Farbe, die rhythmische Zeich-
nung, machen aus einem Rubensbild etwas einem Kirchenfenster Ähnliches. Rubens hat das
gewußt und gewollt. Sowohl in der Frühzeit wie in der Spätzeit hat er so gemalt, daß um
bestimmte und feste Farbteile ein Grundstreifen stehen bleibt. Wenn er Trauben malt:
bei ihm schließt nicht eine Beere an die andere oder vor die andere, sondern um jede Beere
bleibt ein schmaler Streif, wie der Bleistreifen um das farbige Glasstück eines Fensters.
Wenn er in der Spätzeit Manschetten oder Kragen malt, diese Sprühregen, dann sitzen die
einzelnen Raffungen und Bauschungen nicht übereinander, sondern getrennt durch die
gleichen Auslassungen. Eine Perlenkette, ein Ärmel, eine weiße Spitze ist in einem Rubens-
bild nicht durch ein zusammenhängendes Muster aneinander gebunden, sondern die Bild-
fläche hängt unter sich zusammen, sie hat eine Oberflächenspannung. Eines entzündet sich
am anderen, es ist wie ein fortzeugendes, fortschießendes Brennen durchs ganze Bild.
Wenn man an einer Stelle das Bild berührt hat, erklingt das ganze System auf einmal; das
Geflecht der Klangfiguren pflanzt sich überallhin fort. Aber das eine ist mit dem anderen
nicht verbunden durch Linien, sondern durch die Transzendenz des Ornamentalen. Auch
die spätesten Rubensbilder hören nicht auf, letzten Endes Ornamente zu sein, freilich in
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