Jakob Burckhardt über Bernini
(„Der Cicerone“, 1855)
Auch, seine Behandlung der menschlichen Gestalt im all-
gemeinen ist mit Recht verrufen, schon abgesehen von der
Stellung. Jugendlichen und idealen Körpern gab er ein
weiches Fett, das allen wahren Bau unsichtbar macht und
durch glänzende Politur vollends widerlich wird. Die Art,
wie Plutos Finger in das Fleisch der Proserpina hinein-
tauchen (Galleria Borghese) ist auf jede andere Wirkung be-
rechnet als die künstlerische. Seine Jugendarbeit, Apoll und
Daphne (Galleria Borghese) ist bei aller Charakterlosigkeit
doch leidlicher, weil sie noch nicht üppig ist. . .
Den heroischen und Charakterfiguren gab Bernini eine
prahlerische Muskulatur, die sich mit derjenigen Michel-
angelos zu wetteifern anschickt, gleichwohl aber nicht den
Ausdruck wahrer elastischer Kraft hervorbringt, sondern
aufgedunsenen Balgern gleichsieht. . .
Die Gewandung ist vollends eine wahrhaft traurige Seite
dieses Stiles. Es bleibt ein Rätsel, daß Bernini zu Rom, in der
täglichen Gegenwart der schönsten Gewandstatuen des
Altertums sich so verirrte. Allerdings konnten ihm Toga-
figuren und Musen nicht unbedingt zum Vorbild dienen, weil
er lauter bewegte, affektvolle Motive bearbeitete, die im
Altertum fast nur durch nackte Figuren repräsentiert sind;
allein auch seine Aufgaben zugegeben, hätte er die Gewan-
dung anders stilisieren müssen. Er komponiert diese nämlich
ganz nach malerischen Massen und gibt ihren hohen, plasti-
schen Wert als Verdeutlichung des Körpermotives völlig
preis. . .
Welches war nun der Affekt, dem zuliebe Bernini die
ewigen Gesetze der Drapierung so bereitwillig preisgab?
Bei Anlaß der Malerei wird davon umständlicher gehandelt
werden; denn bei dieser ging ja die Skulptur jetzt in die
Schule. Genug, daß nunmehr ein falsches dramatisches
Leben in die Skulptur fährt, daß sie mit der Darstellung des
bloßen Seins nicht mehr zufrieden ist und um j eden Preis ein
Tun darstellen will, nur so glaubt sie etwas zu bedeuten. Die
heftige Bewegung wird, je weniger tiefere, innere Not-
wendigkeit sie hat, desto absichtlicher im Gewände expliziert.
Ging man aber so weit, so war auch die plastische Kom-
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(„Der Cicerone“, 1855)
Auch, seine Behandlung der menschlichen Gestalt im all-
gemeinen ist mit Recht verrufen, schon abgesehen von der
Stellung. Jugendlichen und idealen Körpern gab er ein
weiches Fett, das allen wahren Bau unsichtbar macht und
durch glänzende Politur vollends widerlich wird. Die Art,
wie Plutos Finger in das Fleisch der Proserpina hinein-
tauchen (Galleria Borghese) ist auf jede andere Wirkung be-
rechnet als die künstlerische. Seine Jugendarbeit, Apoll und
Daphne (Galleria Borghese) ist bei aller Charakterlosigkeit
doch leidlicher, weil sie noch nicht üppig ist. . .
Den heroischen und Charakterfiguren gab Bernini eine
prahlerische Muskulatur, die sich mit derjenigen Michel-
angelos zu wetteifern anschickt, gleichwohl aber nicht den
Ausdruck wahrer elastischer Kraft hervorbringt, sondern
aufgedunsenen Balgern gleichsieht. . .
Die Gewandung ist vollends eine wahrhaft traurige Seite
dieses Stiles. Es bleibt ein Rätsel, daß Bernini zu Rom, in der
täglichen Gegenwart der schönsten Gewandstatuen des
Altertums sich so verirrte. Allerdings konnten ihm Toga-
figuren und Musen nicht unbedingt zum Vorbild dienen, weil
er lauter bewegte, affektvolle Motive bearbeitete, die im
Altertum fast nur durch nackte Figuren repräsentiert sind;
allein auch seine Aufgaben zugegeben, hätte er die Gewan-
dung anders stilisieren müssen. Er komponiert diese nämlich
ganz nach malerischen Massen und gibt ihren hohen, plasti-
schen Wert als Verdeutlichung des Körpermotives völlig
preis. . .
Welches war nun der Affekt, dem zuliebe Bernini die
ewigen Gesetze der Drapierung so bereitwillig preisgab?
Bei Anlaß der Malerei wird davon umständlicher gehandelt
werden; denn bei dieser ging ja die Skulptur jetzt in die
Schule. Genug, daß nunmehr ein falsches dramatisches
Leben in die Skulptur fährt, daß sie mit der Darstellung des
bloßen Seins nicht mehr zufrieden ist und um j eden Preis ein
Tun darstellen will, nur so glaubt sie etwas zu bedeuten. Die
heftige Bewegung wird, je weniger tiefere, innere Not-
wendigkeit sie hat, desto absichtlicher im Gewände expliziert.
Ging man aber so weit, so war auch die plastische Kom-
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