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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0137
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aufliegt. In Kreisen von 99 cm Höhe sind auf dunkelblauem Grund unter einer Dattel*
palme zwei jagende Reiter dargestellt, mit gespanntem Bogen nach rückwärts gewendet.
Ihre Pfeile haben zwiefache Beute durchbohrt: mit einem Löwen zugleich einen im Sprung
niedergerissenen Wildesel. Blühende Pflanzen, Adler, Jagdhunde, Hirsche und Hasen füllen
den Hintergrund. Am Stamm der Palme sind die Blattnarben zu sehen; die weit ausladen*
den unteren Äste tragen nebst den Fruchtbündeln Blüten und Blätter verschiedener Ge*
stalt, auf den oberen Zweigen wiegen sich sechs Vögel. Als eine durch den Vorgang nicht
erklärte Zutat fällt das Kreuz zwischen den Löwen ins Auge. Die Kreisbänder, stellenweis
bis zu 9,5 cm breit, sind nach dem Muster der Claven aus der Verkündigungswerkstatt
außen von einem Flechtband, innen von der Astragalschnur eingefaßt. Als Füllung dienen
von vier Vierblattrosetten ausgehend die einfachen ägyptischen Herzblüten samt ihren Knos*
pen. Zwischen den miteinander nicht verbundenen Kreisen werden runde Rosetten von
verschlungenen Bandranken umgeben. Das Muster ist in Gelb und Rot (jetzt zu einer
bräunlichen Farbe verschossen) mit blauer Innenzeichnung ausgeführt (s. T. 16); in weiten
Abständen ist auch Grün streifenweis eingeschossen (s. T. 17).

Außer dem großen Stück in Cöln gibt es noch zwei nicht ganz vollständige Wieder*
holungen des Musters, die in den Farben und mancherlei Einzelheiten der Zeichnung von
einander abweichen, aber doch alle gleichen Ursprungs sind. Zwei ansehnliche Abschnitte
bekleiden innen die Türen des berühmten Goldaltars in S. Ambrogio zu Mailand, den
Meister Wolvinius vor 835 für Erzbischof Angilbert II geschaffen hat (Abb. 89).') Hier
ist der Grund dunkelgrün, das Rot ist unverblichen, einzelne Blätter, Blüten und die Hasen
am Palmstamm sind weiß. Die flatternde Chlamys zeigt noch antike Faltenzeichnung, die
am Kunibertstoff nicht herausgekommen ist; die Tunika der Reiter ist auf der Brust und dem
Knie mit Vierblattrosen besetzt. Die Zeichnung der Pferde ist etwas schwächer, der Maß*
stab annähernd derselbe.

Die dritte Variante dient in zwei Stücken als Buchdeckelbekleidung einer Reimser
Evangelienhandschrift des 9. Jahrh. im Prager Domschatz.2) Die Reiter sind noch besser
gezeichnet als in Cöln, die Grundfarbe grün wie in Mailand. Der Stamm der Palme ist in
ein mit farbigen Streifen und Scheiben gemustertes Rechteck umgewandelt.

Dieser Prachtstoff ist als ein gesichertes Erzeugnis sassanidischer Webekunst angesehen
worden, vornehmlich deshalb, weil Ferd. Justi3) die Darstellung des Doppelschusses als ein
Jagdabenteuer des sassanidischen Prinzen Bahram Gor erklärt hat, der als Bahram V (418
bis 438) trotz seiner stark entwickelten Jagdleidenschaft zu den verdienstvollsten Herrschern
Persiens gerechnet wird. Der arabische Geschichtschreiber Tabari (839—923) erzählt in der
Tat, mit der einer Jägergeschichte wohl anstehenden Übertreibung, daß Bahram, der als
Verbannter am Hof des arabischen Fürsten von Hira weilte, auf der Jagd einen Löwen an*
traf, ,,der einen Wildesel mit dem Rachen im Nacken gepackt hatte, um ihn zu zerreißen.
Da traf Bahram ihn in den Rücken; der Pfeil drang durch bis zum Bauch, dann durch den
Rücken des Esels bis zum Nabel und weiter noch tief in die Erde hinein bis zu zwei Dritt*
teilen seiner Länge; noch geraume Zeit zitterte er im Boden hin und her". Das merkwür*
dige Ereignis ließ Bahram — oder nach einem späteren Erzähler der Fürst von Hira — als
Wandgemälde verewigen. Dem glücklichen Schützen aber ward der Beinamen Gor, der
Wildesel, beigelegt.

') Farbige Abbildungen beider Stücke gibt Venturi im IV. Band der Gallerie naz. ital. 1899; danach
Venturi, Storia I Hg. 322 u. 323.

-) Abgeb. Topographie der Kunstdenkmale in Boehmen, Abt. Die Bibliothek des Domkapitels in Prag
von A. Podlaha Hg. 14 u. 15.

) Zeitschrift für christl. Kunst 1898 XI S. 361.

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