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Des Altgesellen Erinnerungen und Einfälle.

doch nicht auf dem geraden Weg, denn sie waren durch sieben
! Herren Länder gekommen, rechts und links, kreuz und quer.
1 Ulm war damals eine freie Reichsstadt, wie Frankfurt oder
meinetwegen Hamburg; jetzt gehört sie zum Königreich aller
Schwaben, steht aber immer noch am alten Fleck an der Donau,
hat ein feines Münster und noch feinere Leckerle. Ich selber
. bin niemals dort gewesen, drum weiß ich das Wahrzeichen
nicht, aber das Ulmer Brod muß gut sein, wenn's wahr ist,
daß ein König zu Ritterszeiten ein halbes Königreich damit
verschleckt hat*). Wie die zwei in die Stadt kommen, ist ein
gewaltiges Menschenspiel in allen Gaffen, daß sie schier nicht
durchkommen mögen. Zu Ulm soll's so schon wenig Platz und
viele Leut' haben. Tie zwei fragen zuerst nach der Herberg',
doch da ist kaum an einen Bescheid, vielweniger an ein Turch-
kommen zu denken. Dem Strom müssen sie folgen, sie mögen
! wollen oder nicht, und mit einemmal stehen sie, sie wiffen sel-
ber nicht wie, an einem End, wo die Welt init Brettern ver-
nagelt ist, will sagen mit Hatschieren. Selbiger Hag hat aber
: kein Rosengärtlein gehütet, sondern ein hochnothpeinliches Hals-
gericht eingefaßt. Und wer steht vor den schwarzen Herrn im
weißen Armensünderhäß**) mit den dunkeln Schlüpfen? Ter
Daulen-Taveri, wie er leibt und lebt. Was hat er denn ge-
: boßt? Ihr sollt's erfahren, doch erst müßt ihr wissen, was es
mit dem hochnothpeinlichen Halsgericht für eine Bewandtniß hat,
will sagen: gehabt hat. Es war ein Sinn drin. Vor alten
Zeiten wußten die Leute, daß sie Mäuler zum Schwätzen, Ohren
zum Hören hatten, und wenn einer gemordet, gezünzelt***),
gestohlen oder gefrevelt, so stellten fie ihn unter freiem Him-
mel vor allem Volk zur Rede. Danach ist in der lieben Got-
teswelt die Lumperei immer größer worden, und weil aus
Lunipen Papier gemacht wird, so hat das überflüffige Papier
seinen geweiften****) Weg gehen müffen. Drum haben die
Leut' angefangen, mit den Augen zu hören, mit drei Fingern
und einer Feder zu reden, darüber endlich mit der Mutter-
sprache auch den Mutterwitz verlernt, und so ist denn die
Schreibstubenherrschaft entstanden. Das hochnothpeinliche Hals-
gericht war aber noch ein Restchen von der Urvätersitte, gleich-
wie einer, der aus Roth seines Ahnherrn goldne Kette versetzt,
ein Gleich oder zwei zum Andenken zurückbehält. Wenn die
Schreiber und ihre Gesellen über einen armen Sünder genug
Papier verschmiert hatten, so führten fie ihn vor's Rathhaus,
um auf offenem Markt ihm das Urthel zu sprechen und den
Stab zu brechen. Endlich ist auch das Restchen noch verloren
gegangen, doch hat's nichts zu sagen, da wir allgemach die
. Goldkette wieder einlösen mögen. Warum? Darum, weil wir
nimmer soviel Papier zu verschreiben brauchen, seitdem schier
mehr verdruckt wird, als der Papiermüller herschaffen kann.

Am Rathhaus flatterten roth die Blutfahnen, die Richter

*) Felix Faber erzählt, daß ein Graf von Werdeuberg die Graf-
schaft Albeck zu Ulm in Lebkuchen „versreffen" habe.

**) Haß: Gewand.

***) Zünzeln: mit Feuer spielen; (hier für mordbrennen gebraucht).

***“*) Geweift: gewiesen.

saßen an schwarzbehangener Tafel, jeder mit einem entblößten
Schwerte vor sich. Der Blutrichter gebot Stille; keine Maus
regte sich; mit klarer Sttmme rief er: „Bürgermeister und
Rath meiner des Reiches freien Stadt zu Ulm, ich frage euch:
ist das hochnothpeinliche Halsgericht nach kaiserlicher Satzung
und nach unfern offenen Briefen besetzt?"

„Ja," hieß die Antwort.

Der Blutrichter rief abermals: „Bürgermeister und Rath
meiner des Reichs freien Stadt zu Ulm, ich frage wiederum:
in wessen Namen ist dieses hochnothpeinliche Halsgericht zu
hegen?"

Die Antwort lautete: „Im Namen des allmächtigen Got-
tes des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes; im
Namen kaiserlicher Majestät; im Namen eines edeln Rathes
meiner des Reiches freien Stadt zu Ulm sollt ihr dieses hoch-
nothpeinliche Halsgericht hegen."

Die dritte Frage hieß: „Ist es gerechte Zeit, dieses hoch-
nothpeinliche Halsgericht zu hegen?"

„Ja, es ist gerechte Zeit," war der Bescheid.

Sttm hob der Blutrichter auf's neue an: „Alldieweil die
Gerichtsbank besetzt ist nach kaiserlicher Satzung und unfern
offenen Briefen, und da es gerechte Zeit ist, den Blutbann zu
hegen, so eröffne ich im Namen der heiligen Dreifaltigkeit,
im Namen kaiserlicher Majestät, im Namen eines edeln Rathes
meiner des Reiches Stadt und kraft meines Amtes dieses
hochnothpeinliche Halsgericht, und gebiete Stille bei Haut,
Haar, Hand und Hals."

Die Waibcl wiederholten das Gebot, nach allen vier Win-
den hinausschreiend, und bedrohten jede Störung mit schwerer
Sttafe; welche Drohung ganz überflüffig war, da niemand in
ganz Ulm daran dachte, sich des armen Sünders anzunehmen.

Ter Bluttichter rief: „Das hochnothpeinliche Halsgericht
ist eröffnet. Tritt vor, armer Sünder, und sage, wie du
heißest?"

Mein Taveri trat vor, aber nicht wie ein armer Sünder,
sondern frech und unverschämt, wie er immer gewesen, und
redete mit trutziger Miene: „Was soll mir das Geschwätz-
werk? Ich hab's euch oft genug gesagt, wer ich bin, und
wenn ihr's nicht behalten könnt, so schreibt's euch aus ein
Zettele."

In sanften Worten verwies ihm der Richter sein unziem-
liches Bettagen. „Ist das Reu und Leid?" fragte er: „hast
du vergessen, was du dem hochwürdigen Herrn verheißen?"

Der Flegel antwortete: „Ich werde selber bald ein Feld-
bischof sein, der euch mit den Füßen seinen Segen ertheilt.
Aber damit ihr Fried' gebt, will ich noch einmal sagen, was
ihr wissen möchtet; doch geschieht's zum letztenmal. Ich bin
der Daulen-Xaveri vom Herrengut, meines Zeichens ein Metz-
ger ; mein Vater ist ein Seilerbub', meine Mutter eine Gras-
dirn' gewesen, bevor sie Mann und Weib geworden. Jetzt sind
meine Brüder Seilerbuben, meine Schwestern Grastrampel.
Ehrlich geboren bin ich, das könnt ihr in meiner Kundschaft
lesen, sterben werd' ich Bigott nicht so ehrlich, aber das gilt
mir ebenzumehr gleich, denn Kreuz ist Kreuz, Tod ist Tod und
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