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Die Stechpalmlise.

Da perlten viel goldene Thränen
Hervor aus der Fichtenwunde,

Da kamen viel süße Worte
Aus rosigem Mädchenmunde. —

Die Thränen, die sind vertrocknet.

Die Worte, die leben als Traum —

So steh' ich mit blutendem Herzen
Am vernarbten Fichtenbaum.

Eine Thräne rollte bei der letzten Strophe aus ihren
schönen Augen. „In der Au, dort steht der Baum: „Hein-
rich — Life — wo sind sie? Hat Jemand ein Kreuz auf
j ihr Grab gesteckt? Nur sprengt mir kein Weihwasser darauf

> — um des Himmels Willen nur kein Weihwaffer! Ihr könntet
mir sie ersäufen! Gelt Heinrich, du hast keinen Durst? Setze
dich bester zu mir her. Hast du mich denn wirklich noch
gern Heinrich, wie damals unter dem Fichtenbaum? Ach wir
küßten uns zu süß. Es war wohl uicht Sünde Heinrich?
Weißt du noch, ich gab dir zu trinken vom frischen Quell,
aus der Hand gab ich dir zu trinken. Pfui über das Wasser!
Es ist so kalt, es machte dir das Leben gefrieren. Und dein
Herz hat geblutet, schriebst du mir, an jener Stelle, wo ich
dich geküßt und geweint, süße Thränen — Ach! die Thränen
sind ja Wasser; ich will nie mehr weinen, Heinrich!"

Sie fiel mir um den Hals, ich versuchte mich loszu-
; machen, sie sah auf:

„Das ist uicht mein Heinrich. — Der ist tobt, und

> Gott ist auch tobt und Alles wird zu Wasser! Geh fort von
mir, armer Mensch, heute ist Allerseelen, heute gehen die
Todtcn um. Hörst du wie der Wildbach saust? Mein Hein-

I rich steigt aus dem Bache. Ach mein Gott! Todt — tobt
I — naß und kalt — ertrunken, ertrunken!"

Sie stützte den Kopf auf ihre Hände und schluchzte laut.
Ein Geräusch vor der Thüre erregte unsere beiderseitige Auf-
merksamkeit; die Thüre ging auf, der Wind blies in die
Flammen, daß eine Helle Lichte die ganze Hütte beschien,
und eintrat mein Begleiter, den ich über das überraschende
Borausgegangene ganz vergesien hatte. Er sah bleich und
angegriffen aus wie Einer, der von einem heftigen Schreck
sich langsam erholt. Er wankte sichtlich beängstigt auf uns
zu — das Mädchen sprang mit dem Schrei: „Mein Hein-
rich !" vom Bette herab gegen ihn mit ausgebreiteten Armen,
doch ehe sie dieselben noch um seinen Hals schlingen konnte,
fiel sie ohnmächtig nieder, gerade zu seinen Füßen. Wir
sprangen der Armen bei und legten sie auf das Moosbett,
alles Beengende entfernend. Mein Begleiter deckte seinen
Mantel über das Mädchen, und bat mich, ihn allein zu
laffen. Ich war überrascht über diese Anforderung; mein
Begleiter, dies bemerkend, sagte:

„Ich bitte Sie, haben Sie kein Bedenken. Es ist meine
Elise, diese Unglückliche."

Es lag so viel Wahrheit im tieferschütterten Tone, mit
dem er dies sagte, daß ich, so sonderbar mir auch dies Zu-

sammentreffen war, keinen Zweifel in seine Worte setzte, ob-
gleich ich vom Zusammenhänge so vieler Seltsamkeiten kein
Wort verstand. Ich zauderte dennoch fortzugehen, ohne zu
wiffen, warum. Er zog am Halse eine Schnur herauf,
wies mir ein kleines Bild und sagte:

„Sie sehen, daß es so ist. Lassen Sie uns allein, es
hängt Alles davon ab, daß sie bei ihrem Erwachen Nie-
manden sieht außer mir; vielleicht ist sie noch zu retten.
In unserem Gasthause treffen wir uns heute Nacht. Leben
Sie wohl, Sie sollen Alles erfahren."

Es war ivirklich das Bild des Mädchens, was er am
Halse ttug, schön, blühend, nichts als Glück auf den sanft-
gerötheten Wangen — der Gegensatz zu ihrer jetzigen Er-
scheinung, aber dennoch auf den ersten Blick durch das
charakteristische ihres Ausdruckes kenntlich. Aufs Höchste über-
rascht, fast willenlos, folgte ich seinem Wunsche, und ging,
ohne zu überlegen was besser wäre. Dieses sonderbare
Ercigniß beschäftigte mich so sehr, daß ich gar nicht bemerkte,
wie ich zurück anstatt vorwärts ging. Plötzlich weckte mich
das Tosen des Wildbaches aus meinen Gedanken. Ich stand
in der Thalenge hart am Stege, demselben, den ich einige
Stunden zuvor meinen Begleiter führen wollte. Ich sah mich
ringsum. Es ist ein schauerlicher Kessel, der Bach mit
starkem Gefälle windet sich durch eine gekrümmte Felsschlucht,
mit dumpfem Geräusch an die Kalkwände anschlageud. Hohe
Tannen und Föhren mit ihren dunklen schattigen Aesten
schauen malerisch in den weißgrünen Schaum des Wildbaches.
Das Ganze ist wie gemacht zu irgend einein tragischen Vor-

fälle, der sich auch wirklich hier ereignete, wie man noch
heute an der aufgerichteten Marterlafel hart am Stege lesen
kann. Die Malerei dieses sogenannten „Marterl's" ist
eben nicht sehr geeignet, die Begebenheit anschaulich zu machen.
Zwei halten sich fest und schweben sammt dem Geländer des
Steges über dem weißblauen Waffer, das einer Bettdecke ver-
gleichbar darunter ausgebreitet liegt, in grauer Luft. Am
Ende der Brücke neben einem Baume, den man füglich für
einen aufgesteckten Kehrbesen halten kann, steht eine Figur mit
über den Kopf zusammengeschlagenen Händen, an der nichts
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Die Stechpalmlise"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Muttenthaler, Anton
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Berg <Motiv>
Brücke <Motiv>
Karikatur
Kreuz
Landschaft <Motiv>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 10.1849, Nr. 229, S. 98
 
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