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Die Stechpalnilise.

Weib ist als der Rock Heber der ganzen Malerei schwebt
auf undurchsichtig dichten Wolken von milchblauer Färbung
die heilige Maria mit dem Kindlein; der Carmin der Wan-
gen ist kirschrvth, die Haare orangcngelb, der Faltenwurf
des Kleides einer schlechtgezeichneten Fclsenparthie nicht un-
ähnlich, und das Kindlcin wohlgenährt, rvthbackig, Großes
verheißend mit übermäßig großem Kopfe. Unter dieser an-
muthigen Zeichnung steht die etwas verwischte Denkschrift
im Votivtafelstyle genau wie folgt:

„Allhier auf diese Bruck ist der ehrsame Jungxell
Franz ***, nebstbei Bräutigam»: und Wirth vom Steg bei
einem unkristlichen Raffhandl mit einem frembdcn Menschen
in Bach gefallen. Gott und die heilige Schmcrzenmutter
gnade den zwei arm Seelen. Wanderer sie still und bctt.
Zwei Vatterunser und zwei Avcmaria."

Die Stechpalnilise und ihr Wahnsinn, mein Begleiter,
der Steg und die Martertafel, dies Alles warf sich zu einem
wirren Bilde zusammen, dessen Lösung ich gespannt entgegcn-
sah. Ten steilen Fußsteig jenseits des Baches hinange-
klommen, kam ich auf der Landstraße an und wunderte eili-
gen Schrittes der ziemlich ferne liegenden Stadt zu. Im
Gasthause angelangt, harrte ich des Schweizers. Die Nacht
verstrich, es wurde Tag, — er kam nicht.

Theils ails Besorgniß, theils aus Begierde, dieses son-
derbare Räthsel gelöst zu sehen, machte ich mich mit der
Sonne auf und gelangte nach ein paar Stunden an den
Ort unserer Trennung. Am Kreuze hing der Stechpalmen-
kranz, in der Hiitte war Alles wie gestern, nur das Mäd-
chen war verschwunden.

Am Grabhügel bemerkte ich eine dünne Schnur, ich ver-
suchte sie herauszuziehen, sie war fest. Die Neugierde bewog
mich nachzusehen, ich riß eine Zaunspalte aus dem Boden und
grub nach. Unter einer Lage von Schieferplatten entdeckte ich
ein kleines hölzernes Kästchen mit einem Schlöffe versehen, und
wie die halbverfaulten Ueberreste andeuteten, einst mit Sammt
überzogen. Das Kästchen selbst war noch unversehrt; ich nahm
es, verschlossen wie es war, in der Hoffnung, bei meiner Rück-
kehr den Schweizer zu treffen und es ihm einhändigen zu kön-
nen. Etwas müde kehrte ich in der nächsten Dorsschenke ein
und trank behaglich ausgestreckt am Chorsenster hinter einem
großen runden Tische meinen Rothen. Mir gegenüber saßen
zwei Bauern, der eine wohl über sechzig, der andere ein
schmucker Bursche von einigen und zwanzig Jahren. Sie waren
in eifrigem Gespräche, die gefüllten Schnapsgläser vor sich.

„Ich sag dir, Hans, sie war von jeher nichts nutz, sonst
wärs dainit nie so weit gekommen. Wer unfern Herren ver-
laßt, den verlaßt er auch, und dem Teufel steh n Thür und
Thor offen. Du warst auch vernarrt in das Mädel, und
bist gelaufen und gesprungen wie ein Bär, wenn er über m
Joch eine Bärin weiß Glaubst etwa, ich wiff' das nicht?
Kannst Gott danken und der heiligen Jungfrau, daß dich
der Wirths-Franzl ausgestochen; er hat's biissen genug müssen
der arme Franzl, Gott Hab ihn selig."

„G'rad so arg ift’ä nicht gewesen, Vetter," meinte der
Jüngere. „Ihr wißt wohl selber, daß der Lies ihre Leut
g'schürt haben und g'schürt, bis sie's nimmer hat aushalten .
können, und dem Franzl den Handschlag geben hat. Mir
hat sie nicht viel achtgeben, das ist wahr, aber der Franzl,
der hätt sie schon gar nicht kriegt, wenn ihre Leut nicht so
dazugethan hätten. Aber was nicht sein will, will nicht
sein! Ja Vetter, wenn sie die Ungnad vor Gott nicht hätt',
und nicht besessen wär, Gott woll uns behüten, meiner Seel,
ich wollt heut noch hingehn zu ihr und sagen: Liesl, du
weißt es, ist schon wohl eine Zeit, daß ich dich gern Hab,
ich Hab Haus und Hof und fast schuldfrei, wenn du mich
magst, so haben wir Hochzeit."

„Hans versünd' dich nicht. Das Weibsbild hat nie recht
unter die Leut getaugt, sie hat schon von Jugend auf alle-
zeit so lutherische Bücher gelesen, so Gedichter, wie sie's in
der Stadt heißen, so Teufelszeug so schlechtes. Bei so
einer Sach kann kein Segen sein, und die Muttergottes,
wenn sie so Ding sieht, zieht auch die Hand ab."

„Ja, ja, Vetter, ich kann euch nicht Unrecht geben, aber
ein's bleibt doch wahr, gesungen hat sie schön und schöne
Lieder hat sie auch allzeit gewußt; hättest meinen mögen
woher sie's gelernt hätt'. Nur das hat mich nicht schön
gedünkt, daß sie einmal, es ist gerad um Weihnachten ge-
wesen — nein am Dreikönigtag — gesagt hat, sie geh'
nicht singen aus's Chor, sie könn das Geschnarr und den
Singsang, von dem doch kein Mensch was versteh', nicht
leiden. Das war ein schlechtes Wort und unser Herr hat
ihr's anfgemerkt. Ich sag ein's wie's andere, Vetter!"

Während dieses Gespräches trat noch ein Bauer in die
Wirthsstube, begehrte ein Glas Magenstärkung und setzte sich
zu den Andern mit den Worten:

„Hat Euch der Meßmer-Seppl noch nichts erzählt von
der schrecklichen Geschichte gestern Nachts?"

„Kein Wort; ich bin auch seit vorgestern nimmer dazu-
gekommen."

„Gestern um halb acht Uhr Nachts, also nach Betläuten,
der Mond hat so hell geschienen, daß man jeden Groschen
am Weg hätt' aufheben können, ich bin eben heimgegangen,
da haben wir beide, ich und der Meßmer, es gesehen, wie
der böse Feind, Gott sei uns gnädig und barmherzig, in
Gestalt eines Jagers das verruchte Weibsbild, die Stech-
palnilise, geholt hat."

Der Wirth, der gerade recht gekommen war, diese erbau-
liche Geschichte mit anzuhören, ließ den Schnaps, den er in
der Hand hielt, mit dem der Bauer seinen Magen stärken
wollte, aus reinem Schrecken fallen. Die Wirthin schlug die
Hände über dem Kopfe zusammen, nachdem sie zuvor sich be-
kreuziget hatte; doch entging mir nicht ein ziemlich ausge-
drückter Zug der Schadenfreude in ihrem dunkelrothen unan-
genehmen Gesichte. Die zwei Kinder verbargen sich furchtsam
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