Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Das geiuchte Abenteuer. \7t\

Beide setzten ihren Weg weiter fort und verschwanden bald in
der Tiefe der Allee. Leo blieb unbeweglich in starrem Erstau-
nen. Er fragte sich, ob er nicht der Spielball einer Illusion
gewesen sei und ob ihn nicht ein Trugbild getäuscht habe in
so bewundernswerlher Schönheit. Jedenfalls wollte er darüber
Aufschluß haben und das Abenteuer bis zum Ende verfolgen.

Mit der Vorsicht eines Indianers glitt er durch das Dickicht
bis in die Nähe des Pavillons, aus welchem er die Stimmen
Ottiliens und ihres Kerkermeisters vernahm. Er kroch bis
zum Fenster, dessen doppeltes Eisengitter ihm jedoch nur un-
vollkommene Einsicht erlaubte. Er sah die junge Dame am
Piano, dessen Tasten sie mit geübter Hand durchlief. Der erste
Eindruck, welchen sie auf ihn gemacht, wurde jetzt bei näherer
Betrachtung noch erhöht. Ottiliens Gesicht bildete ein voll-
kommenes Oval von langen blonden Locken umschattet. Große
blaue Augen, eine gerade griechische Nase und ein fein geschnit-
tener Mund, zeigten das vollendetste Ebenmaß; ihre Gesichts-
farbe war bleich und weiß wie carrarischer Marmor. In
ihren Zügen lag ctivas Seltsames, Launenhaftes und Beweg-
: liches, welches den Reizen dieser tadellöfen Schönheit eine
hohe Eigcnthümlichkeit und besonderes Interesse verlieh.

Leo ivar in ihr Anschauen vertieft und starrte mit vor-
gestrecktem Kopf nach der jungen Frau, ohne einen andern
> Gedanken fassen zu können; ein Geräusch schreckte ihn plötzlich
aus seiner Extase, der Baron öffnete die Thüre des Pa-
villons und fragte sie: ob sie ihre Promenade mit ihm fort-
setzen wolle? Sie erwiderte: „Nein."

„Tann werde ich Dich hier wieder abholen," sagte er.

„Wie, Du willst mich verlassen?" rief Ottilie, indem sie
auf Herrn von Wallram zulief.

„Nur auf einige Augenblicke, ich muß Petcrn einige Be-
fehle errheilen."

„Aber komme ja recht bald wieder, denn Du weißt cs,
daß ich nur glücklich und ruhig bin, so lange Tn da bist."

Eine Wolke zog über die Stirne des Schloßhcrrn, aber
er cntgegnete sanft: „Ich iverde sogleich wieder zurück sein."

Tie junge Frau bot ihm ihre Wange dar, ans die er
seine Lippen drückte und dann hastig den Pavillon verließ,
dessen Thüre er verschloß.

Ottilie blieb allein zurück und lauschte auf das Geräusch
seiner fern verhallenden Schritte. Plötzlich schien eine seltsame
und gcivaltige Veränderung in ihr vor sich zu gehen; ihre
sanften Augen begannen in unheimlichem Glanze zu sprühen,
ihre vordem lächelnden Lippen preßten sich drohend zusammen,
ihre Gestalt streckte sich und ihr ganzes Wesen nahm einen
unverkennbaren Ausdruck von Entschlossenheit und Energie an.
Sie lief zuerst nach der Thüre und rüttelte daran, dann zum
Fenster, aber als sie sich vergebens nach einem Ansgang um«
geschaut, bedeckte sie ihr Gesicht mit den Händen, und brach
in bittere, verzweiflungsvolle Thränen aus. Leo fühlte, daß
der so laug ersehnte Augenblick gekommen sei und klopfte leise
an das Gitter. Ottilie fuhr empor, erblickte ihn, und stieß
einen gellenden Schrei aus. Der junge Mann ivinkte ihr, stille

zu sein. Zuerst schien sie zu zögern, nach und nach jedoch näherte
sie sich mit wiedergetvonnener Fassung dem Fenster.

„Wer sind Sie und was wollen Sie hier?" fragte sie,
indem sie den Kopf an das Gitter lehnte.

„Ich bin ein Freund und zu Ihren Diensten hier," er-
widerte Leo mit Lebhaftigkeit.

„Und mit was wollen Sie mir dienen?"

„Werden Sie hier nicht mit Gewalt zurückgehalten?"

„Ja, ach ja, ich bin Gefangene."

„Und Sie sehnen sich darnach, frei zu sein?"

„Frei zu sein?" wiederholte Ottilie und ihre Züge klärten
sich auf; „doch wer kann mich frei machen?"

„Ich!" antivortetc Leo mit Selbstgefühl.

Sie betrachtete ihn mit glänzenden Augen und gefalteten
Händen. „Wäre es möglich," rief sie, „ich sollte wiederum
allein und ungehindert überall hingehen können, man würde
mir nicht mehr so hart drohen, mich nicht mehr einsperren?
O, mein Herr, wer Sie auch sein mögen, retten Sie mich, ;
retten Sie mich!"

Sie sagte das mit einem Tone, dessen zitternde, in Schmerz '
Hoffnung und Flehen sich versenkende Wehmuth dem jungen
Mann mit unwiderstehlicher Macht ins Innerste der Seele schnitt.
Er wiederholte ihr feurig, daß er fest entschloffen sei, sie mit !
Gefahr seines Lebens zu befreien, wenn sie ihm nur dabei !
so viel als möglich behülflich sein wolle. Die Antwort der
schönen Frau ward durch die eben hörbare Wiederkunft ihres
Peinigers abgeschnitten. Sie hatte nur noch Zeit zu sagen:
„heute Abend sollen Sie an der Bank in der großen Allee
einen Brief finden." Ein Schlüssel drehte sich in der Thüre
und Leo warf sich in das Gebüsch zurück. Im nächsten
Augenblick sah er den Baron mit Ottilien wiederum den j
Weg nach dem Schlöffe zu einschlagcn.

Am Abend fand sich der junge Abenteurer pünktlich an
dem bczeichneten Ort ein, und entdeckte bald den Brief. Tie
mußte denselben in großer Eile geschrieben haben, denn seine
Sätze tvaren verwirrt und oft unverständlich, die arme Frau
sprach von einer Verschwörung, deren Opfer sie geworden sei,
von grausamen Qualen, ivelche sie erdulden müsse, von schreck-
lichen Drohungen, welche tagtäglich gegen sie ausgestoßen würden.
Flehend rief sie den Schutz ihres Retters an, und bat ihn, seine
Antwort an demselben Orte nicderzulegen. Wie leicht zu denken,
ließ diese nicht auf sich warten. Leo hatte seine ganze natür-
liche Beredsamkeit zusammen genommen und durch eingestreute
Blumen aller Art einen Brief zusammen gebracht, dessen sich
kein Roman zu schämen gehabt haben dürfte. Ottilie antwor-
tete darauf ausführlich, setzte ihm ihr Unglück, ihre Gefühle
auseinander, und es entspann sich von da an ein regelniäßiger
Briefwechsel zwischen dein gehcimnißvollen Opfer einer Kabale
und dessen zukünftigen Befreier. Ihre Briefe wurden immer
vertraulicher, glühender. Leo sprach von ihrer wunderbaren
Schönheit, die ihn gefesielt, Ottilie ihm von seiner Großmuth :
und Aufopferung, welche sie tief gerührt zu haben schien.

(Schluß folgt).
Image description
There is no information available here for this page.

Temporarily hide column
 
Annotationen