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Ute schönste Frau.
gangen war; er verschränkte die Arme und sagte nur: „Der Herr
ist weise!"
Lin Zittern überkam Alle am Hofe. Denn Alle batten ein
schlechtes Gewissen.
Aber im Benehmen des Sultans ging keine Wandlung vor
sich. Er verharrte in seinem finsteren Brüten. — Da schickten die
Würdenträger nach einigen Tagen den Hofnarren zu ihm. Ins-
besondere der Großwessir war es, der heimlich am meisten in
den Narren drang: „Sieh', daß Du heransbringst, was mit
ihm vorgcht! Du sollst ein Ehrenkleid bekommen und tausend
Zechinen!"
Der Narr, ein schlauer Zwerg, hüpfte trällernd, seinen bunten
Bänderstab schwingend, in das Gemach des Herrschers.
„Hinaus!" rief Ali zornig.
Aber der Narr Abdallah that, als mißverstände er ihn. Er
stellte sich hinter den Sultan, schwang seinen Stab gegen die Thüre
und schrie noch lauter als Jener: „Hinaus!"
„Was unterstehst Du Dich?" schnaubte ihn Ali an.
„Herr", entgegnete Abdallah schmunzelnd, „ich jage die Grillen
hinaus, die Dich quälen!.. Sei munter! Soll ich die Tänzerinnen
rufen? willst Du den Gaukler sehen? Befiehlst Du Musik?"
Der Sultan lächelte matt und winkte ihn mit der Hand hin-
weg. „Diesmal können Deine Possen mir nicht helfen!" sagte er.
„Ich brauche Weisheit!"
„Und die willst Du hier am Hofe finden?" rief der Narr er-
schrocken und sprang davon.
Die Würdenträger waren mit seiner Nachricht sehr unzufrieden
und er bekam weder Ehrenkleid noch Zechinen. —
Da — nachdem dieser beängstigende Zustand drei Wochen
gedauert hatte — befahl der Sultan plötzlich eines Abends, fein
schönstes Roß zu satteln.
„Er hat überwunden!" jubelten Alle. „Es ist vorbei!"
Ali ritt ernsten Antlitzes mit prächtigem Gefolge durch die im
Abendroth erstrahlende Stadt. Das Volk in den Straßen warf
sich vor ihm nieder und der Iniam rief brünstige Gebete für ihn
vom Thurme; denn er hoffte dafür auf ein reiches Geschenk.
Am Thore der Stadt ließ der Sultan sein Gefolge zurück.
Der Großwessir, welcher gerne gewußt hätte, wohin sein Herr
reite, bat zwar: „Erhabener, laß mich Dich begleiten!" Als er
aber sah, daß dem Herrscher schon wieder ein „Esel!" auf den
Lippen schwebte, zog er sich scheu zurück.
So ritt 20t allein in die Ebene hinaus. Die Palmen rauschten,
über den Feldern wogten Schmetterlinge, und Lerchen sangen in den
Lüften. Dem Sultan wurde leicht und wohl zu Muth. Dann
aber dachte er plötzlich wieder an den Kummer, der ihn drückte,
und seufzte tief auf.
Endlich kam er an die Hütte Abu's, des Weisen, der zwei
Meilen vor der Stadt am Rande eines Wäldchens wohnte, von
dessen Früchten er sein mäßiges Leben fristete.
Abu saß vor seiner Hütte, hatte die Brille auf der Nase und
las in einem gelehrten Buche. Als er den Sultan erkannte, lud
er ihn mit einer Handbewegung ein, an seiner Seite Platz zu
nehmen.
Ali stieg vom Pferde, band es an einen Baum und setzte
sich neben den weisen.
„Abu", sagte er, „ich weiß mir keine Hilfe mehr, wenn Du
mir nicht räthst! Seit Wochen quält mich die Sorge; aber ich
wurde ihrer selbst nicht Herr; darum bin ich endlich zu Dir ge-
kommen!"
Abu hatte die Brille in das Buch gelegt und dieses geschloffen.
„Ich höre!" sagte er.
„Du weißt", begann der Sultan, „ich habe zwölf Weiber!"
Der Weise lächelte und nickte.
„Alle sind sie von gleichem Reize!" fuhr der Herrscher fort.
„Die stolze Snleika, die lustige Fatme, die kokette Dinorah, die
sinnende Scheherasade — aber wozu soll ich Dir sie alle nennen —
Du kennst sie ja doch nicht!"
„Allah sei Dank!" sagte Abu.
Der Sultan sah ihn einen Augenblick verblüfft an; dann
meinte er seufzend:
„Du magst Recht haben! Nun denke Dir: Neulich, als ich
im Harem verweilte, kommt meiner gluthäugigen Rezza der ver-
wünschte Gedanke, von der weiblichen Schönheit zu reden. Im
Nu entwickelt sich ein Streit und — stelle Dir meine Lage vor! —
Ute schönste Frau.
gangen war; er verschränkte die Arme und sagte nur: „Der Herr
ist weise!"
Lin Zittern überkam Alle am Hofe. Denn Alle batten ein
schlechtes Gewissen.
Aber im Benehmen des Sultans ging keine Wandlung vor
sich. Er verharrte in seinem finsteren Brüten. — Da schickten die
Würdenträger nach einigen Tagen den Hofnarren zu ihm. Ins-
besondere der Großwessir war es, der heimlich am meisten in
den Narren drang: „Sieh', daß Du heransbringst, was mit
ihm vorgcht! Du sollst ein Ehrenkleid bekommen und tausend
Zechinen!"
Der Narr, ein schlauer Zwerg, hüpfte trällernd, seinen bunten
Bänderstab schwingend, in das Gemach des Herrschers.
„Hinaus!" rief Ali zornig.
Aber der Narr Abdallah that, als mißverstände er ihn. Er
stellte sich hinter den Sultan, schwang seinen Stab gegen die Thüre
und schrie noch lauter als Jener: „Hinaus!"
„Was unterstehst Du Dich?" schnaubte ihn Ali an.
„Herr", entgegnete Abdallah schmunzelnd, „ich jage die Grillen
hinaus, die Dich quälen!.. Sei munter! Soll ich die Tänzerinnen
rufen? willst Du den Gaukler sehen? Befiehlst Du Musik?"
Der Sultan lächelte matt und winkte ihn mit der Hand hin-
weg. „Diesmal können Deine Possen mir nicht helfen!" sagte er.
„Ich brauche Weisheit!"
„Und die willst Du hier am Hofe finden?" rief der Narr er-
schrocken und sprang davon.
Die Würdenträger waren mit seiner Nachricht sehr unzufrieden
und er bekam weder Ehrenkleid noch Zechinen. —
Da — nachdem dieser beängstigende Zustand drei Wochen
gedauert hatte — befahl der Sultan plötzlich eines Abends, fein
schönstes Roß zu satteln.
„Er hat überwunden!" jubelten Alle. „Es ist vorbei!"
Ali ritt ernsten Antlitzes mit prächtigem Gefolge durch die im
Abendroth erstrahlende Stadt. Das Volk in den Straßen warf
sich vor ihm nieder und der Iniam rief brünstige Gebete für ihn
vom Thurme; denn er hoffte dafür auf ein reiches Geschenk.
Am Thore der Stadt ließ der Sultan sein Gefolge zurück.
Der Großwessir, welcher gerne gewußt hätte, wohin sein Herr
reite, bat zwar: „Erhabener, laß mich Dich begleiten!" Als er
aber sah, daß dem Herrscher schon wieder ein „Esel!" auf den
Lippen schwebte, zog er sich scheu zurück.
So ritt 20t allein in die Ebene hinaus. Die Palmen rauschten,
über den Feldern wogten Schmetterlinge, und Lerchen sangen in den
Lüften. Dem Sultan wurde leicht und wohl zu Muth. Dann
aber dachte er plötzlich wieder an den Kummer, der ihn drückte,
und seufzte tief auf.
Endlich kam er an die Hütte Abu's, des Weisen, der zwei
Meilen vor der Stadt am Rande eines Wäldchens wohnte, von
dessen Früchten er sein mäßiges Leben fristete.
Abu saß vor seiner Hütte, hatte die Brille auf der Nase und
las in einem gelehrten Buche. Als er den Sultan erkannte, lud
er ihn mit einer Handbewegung ein, an seiner Seite Platz zu
nehmen.
Ali stieg vom Pferde, band es an einen Baum und setzte
sich neben den weisen.
„Abu", sagte er, „ich weiß mir keine Hilfe mehr, wenn Du
mir nicht räthst! Seit Wochen quält mich die Sorge; aber ich
wurde ihrer selbst nicht Herr; darum bin ich endlich zu Dir ge-
kommen!"
Abu hatte die Brille in das Buch gelegt und dieses geschloffen.
„Ich höre!" sagte er.
„Du weißt", begann der Sultan, „ich habe zwölf Weiber!"
Der Weise lächelte und nickte.
„Alle sind sie von gleichem Reize!" fuhr der Herrscher fort.
„Die stolze Snleika, die lustige Fatme, die kokette Dinorah, die
sinnende Scheherasade — aber wozu soll ich Dir sie alle nennen —
Du kennst sie ja doch nicht!"
„Allah sei Dank!" sagte Abu.
Der Sultan sah ihn einen Augenblick verblüfft an; dann
meinte er seufzend:
„Du magst Recht haben! Nun denke Dir: Neulich, als ich
im Harem verweilte, kommt meiner gluthäugigen Rezza der ver-
wünschte Gedanke, von der weiblichen Schönheit zu reden. Im
Nu entwickelt sich ein Streit und — stelle Dir meine Lage vor! —
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die schönste Frau"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 113.1900, Nr. 2876, S. 124
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Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg