Fliegende Blätter (121.1904 (Nr. 3075-3100))

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Doch er unterschätzte die Ziermeyer-
sche Beharrlichkeit. Jeden Morgen kam
ein Brief von ihr und — mochte er ihn
auch mteröffnet kuvertieren und zurück-
senden — am kommenden Tag ein neuer,
immer umfangreicher sogar, daß er längst
bereits Strafporto bezahlen mußte.

Allmählich schmeichelte ihm diese An-
hänglichkeit doch und schließlich rührte
ihn die Treue der Ungetreuen.

„Ich will wenigstens lesen, was sie

Tin anregender Briefwechsel.

schreibt!" sagte er ain fünfzehnten Tage
und schnitt das Kuvert des stattlichen
jdaketchens auf, das heute gekommen war.
Doch was lag da vor ihm?

Sein gestriger Rückbrief!

Tr östnete diesen.

Ihr Brief von vorgestern!

Tr schnitt und schnitt: Immer das
gleiche — sein Kuvert, ihr Kuvert, sein
Kuvert, ihr Kuvert — niemals ein anderer
Inhalt.

Endlich auf einem Berg von Lnveloppen
lag der innerste Kern dieses Rätselwesens:
Sein Abschiedsbrief — uneröffnet!

fja, diese Herzlose! während er
glaubte, daß sie Wochen hindurch um
seine Verzeihung werbe, hatte sie nickt
einmal die Absage gelesen, sondern immer
und immer wieder retourniert.

Beschämt und geknickt saß er vor dem
Kuvertberg — ein Opfer Ziermeyer'scher
Tücke.


^ Neues Wort. ^

Festteilnehmer: „Herr Direktor, man bringt Ihnen soeben einen Fackelzug und will Sie in einer
Ansprache ehren — möchten Sie sich nicht auf den Balkon begeben!" — Jubilar (von den vielen Ovationen des
Tages erschöpft): „Unmöglich — bin bereits vollständig zerfeiert!"