Lhristkindleins Haar. ®*~-
/CfiSJV utter Maria war in großer Aufregung und Sorge: das
Christkind war weg. Mir nichts dir nichts davonge-
laufen, ohne Erlaubnis und Lebewohl, und gerade heute
am weihnachtstage. Nachmittags hatte ein alter Seiliger wahr-
genommen, wie es feinen: Eselchen allerhand aufgepackt hatte,
und wie es dann mit ihm und dem kleinen Johannes durchs
lfiuterpförtchen entwischt war.
Nun war es schon Nacht geworden; der Weihnachtsstern
funkelte schon tiefer am ksimmel und wollte uutergehen. Mutter
Maria konnte es nicht mehr aushalten; sie hüllte sich in den
blauen Sternenmantel und senkte sich nieder zur Erde. Mit ihr
waren zwei Engel; die schritten mit Laternen voraus und ent-
deckten auch bald im Schnee die Fährte des Esels und daneben
die Abdrücke trippelnder kleiner Füße.
Durch einen dicken Forst führte die Spur, bergauf und bergab,
bis in einen einsauren Meiler, wo arme Waldleute wohnten. Schon
von weitem zeigte ein lichter Schein, der aus den Fenstern hinaus
in die Nacht drang, daß das Christkind dort eingekehrt war.
Maria lugte leise durch alle Scheiben; sie sah auch Kinder
eine ganze Menge, die um die Lhristbäume sprangen, ihr Söhnlein
aber konnte sie nirgends erblicken.
Schon standen ihr die Augen voll Tränen — da bemerkte sie
oben auf dein Berge, weit hinter den: Dörflern, einen lieblichen
Schimmer, und ivie sie eilends Hinaufstieg, kam ihr auf halbem
Wege das Christkind mit seinen Begleitern entgegen. Sie riß cs
mit einem Freudenschrei in die Arine ruid herzte es ab, daun
aber begann sie tüchtig zu schelten.
Doch mit einem Male war sie starr vor Entsetzen; des Knaben
pelzmützchen hatte sich verschoben und ivar plötzlich heruuter-
gerutscht in den Schnee, und nun sah sie und wollte ihren Augen
nicht trauen, daß ihr schönes Christkind dastand, kurzhaarig und
struppig dort, wo das lange weiche lhaar sonst golden herabfloß.
„Ja, liebe Mutter Maria," berichtete eifrig der kleine Johannes,
„ich Hab' es ihn: gleich gesagt, aber er ließ sich durchaus nicht
davon abbringen. Wir hatten aber auch wirklich nichts uichr im
Sacke; alles war schon ausgeteilt unter die Kinder, und das
Eselchen hüpfte vergnügt, weil es nichts mehr zu tragen hatte.
Da war nun dort oben noch so ein erbärmliches Häuschen; darin
spann ein steinaltes Weiblein, das hat ein Enkelkind bei sich, dem
Oater und Mutter gestorben sind. Ein Bäinuchen stand wohl
auf dem Tische, aber kahl war's und dunkel, ratzkahl und dunkel,
daß es einen recht dauern konnte — kein einziges Licht war daran.
Das Kind stand am Fenster, traurig, und lugte hinunter nach dem
Dorfe, wo es so hell war und warm und fröhlich. Um und um
drehten wir Sack und Tasche, aber nichts, rein gar nichts wollte
herausfallen.
Da nahm das Christkind sein Scherchen und schnitt sich sein
Saar ab; ritschratsch schnitt es alle Strähne herunter, lief hinein
und spann sie über den Baum, daß es glitzerhell ward im Stüb-
chen, als hinge die Tanne voll goldener Sternstrahlen. Noch von
weitem hörten wir das Kind jubilieren —"
Mutter Maria — vor allen» band sie dem Knaben erst wieder
das Mätzchen fest und zog es ihm tief über die Ghren, dann
nahm sie ihn still bei der Sand, in ihrem Antlitz war ein Lächeln
und auch ein Weinen, und in tiefen Gedanken wandelte sic heim.
Hinterdrein aber mit dem Eselchen trottete der kleine
Johannes, und er sagte recht nachdenklich, als sie zum Siuter-
pförtchen wieder hineinschlüpften: „Daß der liebe Herrgott nur
nichts gemerkt hatl" «rinhaid Volker.
CLSx. TT a di t ft ü ck. /2ö
MM A
nuf dem Diebel fafr Der
Teufel,
Ritt im grünen nlvnden-
fctjein.
Links und rechts in
Ciebeszroeifel
Sctjrie „TTIiau!" ein
Katerlein*
Drunten ging ein feister J
Ratsherr
8chnörkelfchnirkelkrumm |
fürbaff.
. er-
lief im Keller junges Wasser
6vh der Wirt ins alte Rah.
/CfiSJV utter Maria war in großer Aufregung und Sorge: das
Christkind war weg. Mir nichts dir nichts davonge-
laufen, ohne Erlaubnis und Lebewohl, und gerade heute
am weihnachtstage. Nachmittags hatte ein alter Seiliger wahr-
genommen, wie es feinen: Eselchen allerhand aufgepackt hatte,
und wie es dann mit ihm und dem kleinen Johannes durchs
lfiuterpförtchen entwischt war.
Nun war es schon Nacht geworden; der Weihnachtsstern
funkelte schon tiefer am ksimmel und wollte uutergehen. Mutter
Maria konnte es nicht mehr aushalten; sie hüllte sich in den
blauen Sternenmantel und senkte sich nieder zur Erde. Mit ihr
waren zwei Engel; die schritten mit Laternen voraus und ent-
deckten auch bald im Schnee die Fährte des Esels und daneben
die Abdrücke trippelnder kleiner Füße.
Durch einen dicken Forst führte die Spur, bergauf und bergab,
bis in einen einsauren Meiler, wo arme Waldleute wohnten. Schon
von weitem zeigte ein lichter Schein, der aus den Fenstern hinaus
in die Nacht drang, daß das Christkind dort eingekehrt war.
Maria lugte leise durch alle Scheiben; sie sah auch Kinder
eine ganze Menge, die um die Lhristbäume sprangen, ihr Söhnlein
aber konnte sie nirgends erblicken.
Schon standen ihr die Augen voll Tränen — da bemerkte sie
oben auf dein Berge, weit hinter den: Dörflern, einen lieblichen
Schimmer, und ivie sie eilends Hinaufstieg, kam ihr auf halbem
Wege das Christkind mit seinen Begleitern entgegen. Sie riß cs
mit einem Freudenschrei in die Arine ruid herzte es ab, daun
aber begann sie tüchtig zu schelten.
Doch mit einem Male war sie starr vor Entsetzen; des Knaben
pelzmützchen hatte sich verschoben und ivar plötzlich heruuter-
gerutscht in den Schnee, und nun sah sie und wollte ihren Augen
nicht trauen, daß ihr schönes Christkind dastand, kurzhaarig und
struppig dort, wo das lange weiche lhaar sonst golden herabfloß.
„Ja, liebe Mutter Maria," berichtete eifrig der kleine Johannes,
„ich Hab' es ihn: gleich gesagt, aber er ließ sich durchaus nicht
davon abbringen. Wir hatten aber auch wirklich nichts uichr im
Sacke; alles war schon ausgeteilt unter die Kinder, und das
Eselchen hüpfte vergnügt, weil es nichts mehr zu tragen hatte.
Da war nun dort oben noch so ein erbärmliches Häuschen; darin
spann ein steinaltes Weiblein, das hat ein Enkelkind bei sich, dem
Oater und Mutter gestorben sind. Ein Bäinuchen stand wohl
auf dem Tische, aber kahl war's und dunkel, ratzkahl und dunkel,
daß es einen recht dauern konnte — kein einziges Licht war daran.
Das Kind stand am Fenster, traurig, und lugte hinunter nach dem
Dorfe, wo es so hell war und warm und fröhlich. Um und um
drehten wir Sack und Tasche, aber nichts, rein gar nichts wollte
herausfallen.
Da nahm das Christkind sein Scherchen und schnitt sich sein
Saar ab; ritschratsch schnitt es alle Strähne herunter, lief hinein
und spann sie über den Baum, daß es glitzerhell ward im Stüb-
chen, als hinge die Tanne voll goldener Sternstrahlen. Noch von
weitem hörten wir das Kind jubilieren —"
Mutter Maria — vor allen» band sie dem Knaben erst wieder
das Mätzchen fest und zog es ihm tief über die Ghren, dann
nahm sie ihn still bei der Sand, in ihrem Antlitz war ein Lächeln
und auch ein Weinen, und in tiefen Gedanken wandelte sic heim.
Hinterdrein aber mit dem Eselchen trottete der kleine
Johannes, und er sagte recht nachdenklich, als sie zum Siuter-
pförtchen wieder hineinschlüpften: „Daß der liebe Herrgott nur
nichts gemerkt hatl" «rinhaid Volker.
CLSx. TT a di t ft ü ck. /2ö
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Ritt im grünen nlvnden-
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Links und rechts in
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Drunten ging ein feister J
Ratsherr
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lief im Keller junges Wasser
6vh der Wirt ins alte Rah.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Nachtstück"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1910
Entstehungsdatum (normiert)
1900 - 1920
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 132.1910, Nr. 3362, S. 10
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg