Fliegende Blätter (132.1910 (Nr. 3362-3388))

TJei Sonnenaufgang nach durchzechter Nacht durch-

zog

Die stillen Gassen Agrigents ein trunk’ner Schwarm:
Wüst, mit Gebrüll die Becken schlagend, jung und alt
Anrempelnd, Sklaven prügelnd und die zage Schar
Der Mägde frech beleidigend mit schamlosem Schimpf.

Am Tempel des Dionysos führt sie der Weg
Vorbei, und einer Laune folgend, stolpern sie

Die blanken Stufen schwank und plump empor, dem Gott
Der Reben laut zu huldigen voller Übermut.

Und lärmend durch die hehre Säulendämm’rung, roh
Besudelt Bart und Kleid, von Schweiß benetzt, im Haar
Zerdrückte Efeukränze, taumeln, stürzen sie
Der Nische zu, wo, goldumleuchtet, still und weiß
Des Gottes marmorn wundervolles Bildnis ragt,

Des Sorgenlösers, der des Menschen Herz erfreut —

Und dreist und widrig gröhlt ihr heiseres Evoe.

Da ruckt voll heiligen Zorns der Gott den Thyrsosstab
Und stößt ihn stampfend auf den Estrich, daß es dröhnt,
Und feierlich, indes die Rotte bleich sich duckt,

Wie Wettergrollen rollt es durch den Raum dahin:
„Hinaus! Mit Euresgleichen hab’ ich nichts gemein!

Der Rebe Glut soll Euch zu Göttern machen, nicht
Zu Schweinen!“ — Reinhard Volker.

Verantwortlicher Redakteur: I. Schneider in München. — Verlag von Braun & Schneider in München. — In Österreich-Ungarn für Herausgabe
u. Redaktion verantwortlich: Oskar Lechner in Wien I. — E. Mühlthalcr's Buch- u. Kunstdruckerei A.G. in München. — Hierzu das Beiblatt.