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y\ih:c Rücksicht auf sein ehrwürdiges Alter hatte man ihn erschossen, hingemordet auf
tö brauner lheide, als das Morgenrot blutig emporglomm, und er hatte sich mit einem
Purzelbäume zu seinen Vätern versammelt. Seine irdische bsülle war von der lsändlerin
Müller zu Markte getragen worden, und die Hausbesitzerin Schulze hatte sich ihrer erbarmt,
um ihr zwischen den Zähnen ihrer werten Familie ein ehrenvolles Begräbnis zu bereiten.
Der alte Bursche hatte jedoch deui ehrenvollen Begräbnisse den zähesten Widerstand ent-
gegengesetzt, und dem Großvater war der letzte Zahn dabei ausgebrochen, also daß die Schulze
wütend zur Müller gelaufen war, um ihr einiges Schmeichelhafte an den Kopf zu werfen. —
Der Frühling war gekommen, und die Lerchen wirbelten über der Saat. Auf den
Äckern ergötzte sich die Nachkommenschaft des Ermordeten, knapxerte lustig am jungen
Grün oder suchte eiu Liebchen für den
Sommer. Des meuchlings entschlafenen
Ahnen gedachte keiner.
Drinnen in der Stadt aber, in
einem grauen, dunklen Gebäude mit
dicken Mauern und schmalen Fenstern,
saß um dieselbe Stunde ein hustender
Kopist und schrieb das hundertseitige
Urteil zweiter Instanz in der Bclei-
digungsklagsache der Händlerin Müller
gegen die Hausbesitzerin Schulze.
Er hatte nicht viel im Magen,
denn es war gegen Ende des Monats,
und bis spät in die Nacht schon halte
er gesessen und abgeschrieben. Kein
Wunder, daß er gähnte und mit dem
Einschlafen kämpfte. Immer tiefer
nickte er mit dem ermüdeten Kopfe —
als mit einein Male etwas Bewegliches
aus dem Tintenfasse vor ihm enipor-
tauchte. Wie er näher hinsah, da er-
blickte er zwei lange, auf- und nieder-
klapxende (Uhren, und, er hatte sich
noch kaum von der ersten Verwunderung
erholt, da war auch schon der ganze
übrige Hase aus dem Tintenfasse her-
ausgespruugen und machte nun dicht
vor seiner Nase auf dem frischgeschricbe-
nen Urteil ein ironisches Mätzchen.
„Guten Morgen I" kicherte Meister
Lampe, dem die schwarzen Tintenperlcn
noch von: Schnurrbart troffen. „Essen
Sie gerne Hasenbraten?"
„MH!" stöhnte der Schreiber.
„Warum gehen Sie bei dem schönen
Metier denn nicht spazieren?" fuhr
boshaft der Hase fort, „ich sage Ihnen,
es ist wonnig draußen; die Sonne
scheint, die Kirschbäume blüh'n und die
hübschen Mädchen pflücken Himmel-
schlüssel am Bache!"
„MH!" stöhnte der Schreiber.
„Wissen Sie was," flüsterte der
Hase, „fahren Sie mit mir in die vierte
Dimension!"
„Vierte Dimension?" lallte der
Schreiber.
„Da haben Sie Hasenbraten, so oft
Sie wollen, Hasenbraten mit Knödeln
und Krautsalat I"
„Ohl" stöhnte der Schreiber, „aber
ivie, wie sollte ich wohl dorthin kommen ?"
„Stechen Sie sich die Stahlfeder in's
Herz!" sagte der Hase.
„Sie haben am Ende recht!" er-
widerte nach einiger Überlegung der
Schreiber, „aber sie müssen noch ctivas
Geduld haben I Erst — erst möchte ich
doch das Urteil noch fertigschreiben!"
Reinhard Volker.
y\ih:c Rücksicht auf sein ehrwürdiges Alter hatte man ihn erschossen, hingemordet auf
tö brauner lheide, als das Morgenrot blutig emporglomm, und er hatte sich mit einem
Purzelbäume zu seinen Vätern versammelt. Seine irdische bsülle war von der lsändlerin
Müller zu Markte getragen worden, und die Hausbesitzerin Schulze hatte sich ihrer erbarmt,
um ihr zwischen den Zähnen ihrer werten Familie ein ehrenvolles Begräbnis zu bereiten.
Der alte Bursche hatte jedoch deui ehrenvollen Begräbnisse den zähesten Widerstand ent-
gegengesetzt, und dem Großvater war der letzte Zahn dabei ausgebrochen, also daß die Schulze
wütend zur Müller gelaufen war, um ihr einiges Schmeichelhafte an den Kopf zu werfen. —
Der Frühling war gekommen, und die Lerchen wirbelten über der Saat. Auf den
Äckern ergötzte sich die Nachkommenschaft des Ermordeten, knapxerte lustig am jungen
Grün oder suchte eiu Liebchen für den
Sommer. Des meuchlings entschlafenen
Ahnen gedachte keiner.
Drinnen in der Stadt aber, in
einem grauen, dunklen Gebäude mit
dicken Mauern und schmalen Fenstern,
saß um dieselbe Stunde ein hustender
Kopist und schrieb das hundertseitige
Urteil zweiter Instanz in der Bclei-
digungsklagsache der Händlerin Müller
gegen die Hausbesitzerin Schulze.
Er hatte nicht viel im Magen,
denn es war gegen Ende des Monats,
und bis spät in die Nacht schon halte
er gesessen und abgeschrieben. Kein
Wunder, daß er gähnte und mit dem
Einschlafen kämpfte. Immer tiefer
nickte er mit dem ermüdeten Kopfe —
als mit einein Male etwas Bewegliches
aus dem Tintenfasse vor ihm enipor-
tauchte. Wie er näher hinsah, da er-
blickte er zwei lange, auf- und nieder-
klapxende (Uhren, und, er hatte sich
noch kaum von der ersten Verwunderung
erholt, da war auch schon der ganze
übrige Hase aus dem Tintenfasse her-
ausgespruugen und machte nun dicht
vor seiner Nase auf dem frischgeschricbe-
nen Urteil ein ironisches Mätzchen.
„Guten Morgen I" kicherte Meister
Lampe, dem die schwarzen Tintenperlcn
noch von: Schnurrbart troffen. „Essen
Sie gerne Hasenbraten?"
„MH!" stöhnte der Schreiber.
„Warum gehen Sie bei dem schönen
Metier denn nicht spazieren?" fuhr
boshaft der Hase fort, „ich sage Ihnen,
es ist wonnig draußen; die Sonne
scheint, die Kirschbäume blüh'n und die
hübschen Mädchen pflücken Himmel-
schlüssel am Bache!"
„MH!" stöhnte der Schreiber.
„Wissen Sie was," flüsterte der
Hase, „fahren Sie mit mir in die vierte
Dimension!"
„Vierte Dimension?" lallte der
Schreiber.
„Da haben Sie Hasenbraten, so oft
Sie wollen, Hasenbraten mit Knödeln
und Krautsalat I"
„Ohl" stöhnte der Schreiber, „aber
ivie, wie sollte ich wohl dorthin kommen ?"
„Stechen Sie sich die Stahlfeder in's
Herz!" sagte der Hase.
„Sie haben am Ende recht!" er-
widerte nach einiger Überlegung der
Schreiber, „aber sie müssen noch ctivas
Geduld haben I Erst — erst möchte ich
doch das Urteil noch fertigschreiben!"
Reinhard Volker.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Hase im Tintenfaß"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum (normiert)
1910 - 1910
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 132.1910, Nr. 3387, S. 310
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg