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32!

Die Verfluchte.

Die eigne — Schwiegermutter aus
Und lacht: „Ich wollte heim direkt.

Daß Du zurück mich holst — Respekt!"

A. Kölsch.

Dis Verfluchte.

Es hatte ein Mann eine sehr schöne Frau, mit seidenweichem,
weißblondem Haare, das leise knisterte, wenn er darüber
strich, und mit schwarzbewimperten, dunklen Augen, in deren Tiefen
es magisch glimmerte von grünlichen Lichtern.

Er hatte sie gefunden, nachts, zwischen Wald und Moor;
im Wachholdergestrüpp sah er sie stehen, zauberisch vom Mond-
lichte umflossen, umschmiegt von feuchtem, schlohweißem Linnen,
das die schlanken Glieder nur leicht verhüllte. Die Augen ge-
schlossen, bei jedem Schritt in Gefahr zu versinken, wandelte sie
mit nackten Füßen über den schwarzen Grund.

Voller Mitleid hatte er sie umfaßt, sie aus Bruch und Moos
auf den sicheren Pfad getragen und, von ihrer blassen Schönheit
gerührt, die bitterlich Weinende sanft in sein Haus geleitet. —

Nun lebte er schon ein Jahr lang zärtlich mit ihr zusammen ;
sie gebar ihm ein Töchterlein, und immer inniger gewann er sie lieb.

Freilich mitunter, da war es ihm, als könne nicht alles mit
ihr sein, wie es sollte.

Tiefe Traurigkeit hing oft über ihr wie ein Schleier, und
seltsam, immer wieder, ehe der Mond sich füllte, wurde sie von
wunderlicher Erregung ergriffen. Dann brannten ihre Augen in

irrer Glut, und sie zuckte und zitterte vor Angst, wenn die Nacht
hereinbrach, in der der Vollmond emporstieg.

Am nächsten Morgen fand er sie dann an seiner Seite in
tiefer Erschöpfung, die Haare verworren und naß, und die Lippen
feucht und rot wie von Blut.

Oft schon hatte er versucht, solche Nacht zu durchwachen.
Doch noch immer war bleierner Schlaf auf ihn niedergesunken und
hatte ihn unüberwindlich in Bann gehalten bis an den Morgen.

Da er aber das Rätsel, das ihn sorgte und quälte, durchaus
ergründen wollte, stach er sich eines Abends heimlich das Messer
ins Fleisch, und wenn die Müdigkeit ihn übermannen wollte, drehte
er das Eisen um in der Wunde.

Da gegen Mitternacht sah er sein Weib, wie es geräuschlos
sich vom Lager erhob und wie ein Marder von dannen schlich.
Im Mondenscheine glitt sie behend vor ihm her, über den Hof,
durch den Garten, kletterte über den Zaun und rannte dann hinaus
nach dem Holze.

Er sah sie Halt machen am Rande des Moores und sich
geschmeidig emporschwingen in’s Geäst einer uralten Eibe. Er
erblickte mit Grausen, wie sie dort ein Nestlein beschlich, eine
Waldtaube griff und dem flatternden Vogel die Zähne in den
Hals schlug.

Da erkannte er, daß sein Weib eine jener verdammten
Seelen war, die auf Erden wandeln und nach unschuldigem Blute
gehen — gehen müssen, ihr Leben zu fristen bis zum nächsten
Vollmonde.

Aber er hoffte in seiner Liebe, daß er sie lösen könne von
dem grausigen Fluche, dessen Wurzeln in dunklen Geheimnissen
der Ewigkeit liegen, und er schwieg und begrub im Herzen, was
er gesehen.

Als nun wieder die Nacht kam, da jene Schrecknisse sich
vollziehen mußten, verschloß er heimlich von innen die Kammertiir
und versteckte den Schlüssel. — Gegen Mitternacht aber sank er
wieder betäubt in todähnlichen Schlaf. —

Das Weib war vom Lager gesprungen. Sie ward bleich
vor Entsetzen, als die Tür sich nicht öffnen ließ, und begann wie
ein Raubtier nach dem Schlüssel zu spüren. Denn wohl wußte
sie: sank der .Mond, ohne daß warmes, unschuldiges Blut ihr die
Lippen genetzt hätte, dann — so war es das finstere Gesetz ihres
Daseins — dann mußte sie sterben.

Der Mond schien blau durch die Luke, und der blasse
Streifen rückte stetig die Wand entlang.

Rastlos, verzweifelt suchte sie, suchte, witternd blähten sich
ihre Nüstern, ihr Haar — von Funken durchirrt — bäumte sich auf.

Unaufhaltsam aber wanderte der blaue Strahl, und jetzt,
jetzt hing er über dem Bettlein des Kindes.

In heiligem Frieden lag es und schlief, und zierlich ringelte
sich das Haar um den schmächtigen Hals.

Dort — pochte Blut, pochte das junge, warme, un-
schuldige Blut!

Todbleich vor der Wiege stand das Weib. Der Schweiß
rann von ihrer Stirn, im Krampfe krallten sich ihre Finger, und
tief, immer tiefer beugte sie sich über die atmende Kreatur.

Das Kind aber öffnete im Traume die Arme und lallte:
„Mutter!“

Da — langsam, langsam löste sich die gekrümmte Hand. - —

Im Morgengrauen fand er sie tot. In der Wiege, rosig,
atmete das Kind; auf ihrem Antlitz aber lag ein Strahl der Erlösung.

Reinhard Volker.
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Pech"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Stockmann, Hermann
Entstehungsdatum
um 1910
Entstehungsdatum (normiert)
1900 - 1920
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 132.1910, Nr. 3388, S. 324

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