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B a c ch u s.

„Sic sehen so frappant dem Bacchus auf einem alten
Gemälde ähnlich, das ich besitze," sagte der Referent, „daß man
glauben möchte. Sie seien dem Maler, der vor 150 Jahren
lebte, als Modell gesessen!"

„Nicht wahr, Herr Rath," mischte sich ein Studiosus aus
gutem Hause d'rcin, „unser Feistbcrger ist der König des Abends?"

„Feistberger?"

Der Referent zog seine Schreibtafel heraus und blickte
hinein, dann wandte er sich stirurunzelnd an den noch immer
ahnungslosen Bacchus.

„Heinrich Feistbcrger?" fragte ihn der Herr Referent mit
schneidiger Kürze.

„Zu dienen!" erwiderte Heinrich ruhig.

„Und Sic wagen es, um ein Stipendium einzukommcn?"
fuhr es dem entrüsteten, spindeldürren Herrn Referenten heraus.
„Sie, mit diesem ausgefütterten Gesichte, mit diesem Schmeer-
bauche, Sie unterstehen sich, eine Unterstützung anzusprechen,
welche armen, braven Coucurrcnten entzogen würde, denen die
Noth und die kläglichste Entbehrung in's Gesicht geschrieben
ist!!

Somit war Heinrichs Geschick besiegelt. Er bekam wegen
seines guten Aussehens auch richtig kein Stipendium. Gerade
jenes, von dem er glaubte, es könne ihm nicht entgehen, ward
einem der liederlichsten und nachlässigsten Studenten zu Theil, der
nur den Vortheil hatte, auszusehcn, als säße ihm die Schwind-
sucht unabwendbar auf dem Nacken. Jndcß war Heinrich, von
Kindheit an Mangel und drückende Verhältnisse gewöhnt, der
Mann dazu, sich in sein Geschick zu ergeben.

Unter den drückendsten Umständen setzte er seine Studien
mit unabänderlichem Erfolge fort. Wie er dabei sein Leben
fristete, das weiß nur derjenige, der selber einmal ein armer
Student war, und einzig und allein auf seine eigene Kraft
gestellt war. Wer's nicht weiß, der verlange es nicht zu wissen,
denn besonders anmuthcn würde es ihn im Ganzen nicht. Genug,
Heinrich fristete sein Leben, und sein exemplarisches Embonpoint
nahm dabei nicht nur ab, sondern eher zu.

Da kam nun auch für ihn die Stunde, wo er außer den
bekannten ungestümen Stimmen seines Magens noch eine zweite,
nicht minder stürmische in sich vernehmen mußte, nämlich die
Stimme seines — Herzens!

Ihm gegenüber wohnte ein „wunderbar schönes Mägdlein",
die Tochter eines Patriziers der Stadt. Das hübsche Kind
sehen, es einmal mit seinen Silberklängcn sprechen hören, und
die Stimme Nr. 2 in Heinrich's Innern hörte nicht mehr auf
zu flüstern, zu sprechen, zu singen und zu jubilircn.

Heinrich that alles Mögliche, um der Holden Aufmerksam-
keit zu erregen. Er folgte ihr, wenn sie ausging, ans Tritt
und Schritt, er wagte es, sic zu grüßen, er sang bei offenem
Fenster die süßesten Lieder zur Guitarre hinüber, hinüber, wo
sic wohnte, die Himmlische, welche sich über den „Dicken" drüben
nicht genug lustig machen konnte! Selbstverständlich war vom
Lieben, Anbeten und Schmachten bis zum — „Dichten" nur
mehr ein Katzensprung.

Und so setzte sich denn Heinrich hin und dichtete an die

„Ungenannte" ein wirklich zart und originell empfundenes Lied
mit dem leider nicht mehr neuen Refrain:

„D'rum, wär' ich ein Vöglcin, ich flöge zu Dir!"

Das Gedicht fand Aufnahme im Tagblatt und hätte un-
leugbar Zeugniß für die poetische Fähigkeit gegeben, wenn man
nur nicht bei dem Unterzeichneten Namen des Verfassers an —
„Bacchus" gedacht hätte! Damit war alle Illusion grausam zer-
rissen ! Man sah nur den monströs dicken Studenten als — zartes
Vögclein vor sich, das zu ihr „flattert"!! — Das Gelächter
der Stadt war allgemein, und die Holde, welcher das so gut
gemeinte Lied galt, war darüber so erbittert, daß sie einen
ihrer Verehrer veranlaßte, Heinrich, den „dicken Kolibri", als
„Vögclein" zu zeichnen und das Bild in einem Carricaturen-
blatt zu veröffentlichen.

Nun hatte Heinrich eine weitere Erfahrung gemacht, nämlich
die übrigens schon oft bewährte, daß ein „Dicker" reiten, tanzen,
fechten, nur keine — Liebeslieder veröffentlichen dürfe, und
wenn sie noch so gut wären. Der gute Heinrich zog sich nun
gänzlich auf seine Studien und in seine Stube zurück. Es
vergingen die Jahre, und so ward denn Heinrich mit Aus-
zeichnung absolvirter Techniker. Nun aber stand er erst recht
rathlos da. Er wußte nicht wo ans, wo ein. So was man
sagt „fertig" sein und nun erst den — „Anfang" suchen! In
dieser fatalsten aller Lebensperioden, wo der Mensch so zu sagen
zwischen Himmel und Erde in der Luft schwebt, von der man
leider nicht — leben kann, fiel unscrm Heinrich folgendes
Inserat in der Zeitung auf:

„Rcise-Secretär wird unter glänzenden Bedingungen gesucht."

„Versuchen wir unser Glück!" rief sich Heinrich zu. „Viel-
leicht ist uns diesmal unser Embonpoint nicht im Wege!"

Er stellte sich dem Herrn vor, von dem die Annonce her-
rührte. Der Kammerdiener empfing ihn und hieß ihn warten,
bis der Herr sich aus dem Bette erhoben haben würde. Es
war schon gegen Mittag und der fremde Herr lag noch zu Bette.

„Ist Ihr Herr krank?"

„Das heißt, wie man's nimmt! Vor Allem muß ich
Ihnen sagen, daß der Herr v. Tännenstamm ein eigenartiger
Mensch ist. Er ist halb Russe, halb Deutscher; auf der einen
Seite sehr einnehmend, auf der andern unausstehlich — er ist
sehr reich, reist seit 20 Jahren in der ganzen Welt herum,
spricht deßhalb zahllose Sprachen, aber keine recht, so daß man
nicht crniren kann, welche seine Muttersprache ist! Aber ich
will Sic damit bekannt machen, was Sic bei Herrn v. Tännen-
stamm zu thnn haben würden. Sic müssen alle seine Briefe
schreiben, sein Tagebuch führen, Skizzen von allen interessanten
Punkten aiifnehmcn, die Sic mit ihm besuchen werden, denn er
ist ein großer Landschafter, der aber nicht die Laune hat,
selbst zu zeichnen und zu malen, wcßhalb sein Skizzcnbuch
von seinem — Secretär besorgt werden muß. Er ist ein
großer Freund der Alpcnwelt, besteigt aber nie selbst einen
Berg, das muß für ihn sein — Secretär thnn, der die Schilder-
ung des Gesehenen niederschreiben muß, damit Herr v. Tännen-
stamm einst seine „Alpenreisen" herausgeben kann! . . . Wir
hatten schon eine Reihe von Secretären, aber keiner hielt es
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