Fliegende Blätter (69.1878 (Nr. 1719-1744))

98

Eine Prüfung.

blick, wo man so leichtsinnig Väterchen spricht; ich bin heute
nicht Väterchen, ich bin Vater, merk' Dir's!"

Jaromir: „Empfehl' mich zu Gnaden, Ew. Hochwohl-
geboren, Hab' heut' schon Ihren Schimmel probirt; was wollen
Sie für das Pferd, Herr Nachbar?"

Commercienrath: „Hören Sie, junger Herr, ich bin
in diesem wichtigen Moment nicht Nachbar, ich bin Commercien-
rath, merken Sie sich's!"

Bertha: „Aber, lieber Vater, was gibt's denn heute so
Wichtiges, — ist etwa mein Rosahut von Paris angekommen?"

Commmercienrath: „Bertha! Es ist nicht davon
die Rede, unter den Rosahut zu kommen, komm' nur zuerst
unter die Haube, meine Tochter!"

Bertha: „Ja, wenn Sie damit unsere Hochzeit meinen,
ich bin gleich dabei, auch Jaromir!"

Jaromir: „Goddam, ich bin auch dabei!"

Commercienrath: „Hoho! Wir wollen erst sehen, wie
es mit dem spirituellen Equilibre aussieht; man heirathet nicht,
wie man sich auf eine Galopade cngagirt! Darum anfgcpaßt,
nehmt Euch zusammen und löst das Räthsel, das ich Euch
ausgesonnen:

Es hat Flügel und thut kein Vogel sein,

Nach Gefallen kehrt es überall ein;

Dem es lacht, der ist im Himmelreich,

Den es quält, der möcht' verzweifeln gleich;

Holden Damen ist es zugesellt,

lind sein Zauberwink regiert die Welt."

Bertha: „Das ist ein Drache, der hat Flügel und
thut kein Vogel sein!"

Commercienrath: „Bertha, was war das! Ist denn
ein Drache holden Damen zugesellt, und es heißt ausdrücklich
holden Damen! O Madame Chatolet, Margaut und
Clavel, ist das die Geistesbildung, die ich von Euch erwartete?
Hab' ich darum Euere Institute vergoldet, um solche Auffassung
meines Räthsels zu erleben?"

Jaromir: „Ich denke, es ist eine Windmühle; die hat
auch Flügel und ist kein Vogel, und die Damen tragen ja so
etwas oft in der Coiffure!"

Commercienrath: „Aber, Herr Junker, lacht denn je
eine Windmühle?"

Bertha: „Jetzt hob' ich's, das ist ein Cacadn; der
lacht, und die Damen haben ihn gern!"

Commercienrath: „Bertha! Ein Cacadn ist ja doch
ein Vogel und gehört in das Geschlecht der Papageien! Sind
das die Früchte, lvclche die Naturgeschichte Blnmenbnchs und
des guten Schubert an Dir getragen haben?"

Jaromir: „Ich glaube, es ist ein Claviermacher; der
hat Flügel und ist kein Vogel, und Alles paßt herrlich!"

Commercienrath:. „Aber, ich bitte, ist man denn im
Himmelreich, wenn Einen ein Claviermacher anlacht? Ah!
Das ist zu arg!"

Bertha: „Vielleicht ein Hausthor, liebster Vater?"

Commercienrath: „Genug, ich halt' es nicht mehr
aus, (für sich) aber soviel ist gewiß, daß eines so dumm

ist, wie das andere; das Gleichgewicht ist da! Kinder,
es ist der Amor! Und da mir die Sache langtvcilig lvird,
so hört meinen Entschluß: Nehmt Euch, denn Ihr seid
einander werth! Und nun vorwärts zur Verlobungsseier
mit Pauken und Trompeten! Meine Bertha! — Mein
Jaromir!"

v. Kobcll.

Ged ankrnspl ittcr.

Am meisten sucht man das zu verbergen, lvas man nicht hat.

Doppelte Prognosis.

„Ich bringe halt meinen Husten nicht an! — Der
Doctor sagt, ich dürfe kein Bier mehr trinken. Was
sagen Sie dazu, Herr Sanitätsrath?" — „Hm, hm! Husten

— Nichthusten! Trinken — Nicht trinken! ? Das ist die Frage;

— ich aber sage Ihnen: Wenn Sic Bier trinken, werden
Sie husten, so lang sic leben, und wenn Sie kein Bier
trinken, werden Sie husten, so lang, bis Sic sterben!"

Trinkergrundsatz.

Es kommt d'ranf an, daß man ißt und was man trinkt.

Passendes Wortspiel.

Buchhändler: „Warum sind Sie denn so gedrückt?"

— Dichter: „Weil ich nicht gedruckt bin!"