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146

Die Ni

Parlament einzusumsen, daun eilten sie da und dort hin,
machten die Jugend auf die List und Grausamkeit der Menschen
aufmerksam und predigten ihr den weisen Spruch vor: „G'schcidt
sein, nit eini tapp'n!"

Schon am andern Morgen Schlag vier Uhr trafen von jedem
Baum und Strauch, von Feld und Acker die Deputirten der
Geächteten ein, im schwarzen Anzug mit rothbraunen Beineu
und Flügeldecken und mit schneeweiß gewaschenen Seitcnzacken,
wie sich's für eine solche Versammlung gehört. Nach altem
Brauche fand die Sitzung unter freiem Himmel statt, der Sicher-
heit wegen aber diesmal nicht auf einem Baume, sondern in dem
abgelegensten Winkel eines Rübenfeldes, das an des Adlerwirths
Garten stieß. Hier fühlten sich die Maikäfer geborgen vor der
menschlichen Mordlust, und es ward strengstens verboten, den in
einiger-Entfernung bliihendcn Apfelbaum zu besteigen. Die Sonne
zündete ihre Lichter au, der Wind stellte sich als Telephonist
ein, und damit es nicht gar zu ascetisch hergehe, hatte die Natur
für ein Frühstück gesorgt. Der Thau war vom besten Stoff,
deßhalb tranken die Maikäfer nach Herzenslust und verzehrten
voll Appetit die zarten Blätter des Rübenfeldes. Der Lärm,
das Brummen und Surren war so groß in der Versammlung,
daß ein runzlichter Maikäfer, dem das Alterspräsidium von
Rechtswegen gebührte, nur mit Mühe die Ruhe Herstellen und
die magistratische Verordnung mittheilen konnte. Kaum hatte
er diese vollendet und einige einleitende Worte dazu geschnurrt,
so erhob sich ein hageres Männchen mit kampflustigen Beweg-
ungen; eines seiner Fühlhörner war fast ganz abgenützt, und
seine Flügel zeigten vielfach defecte Stellen.

„Geehrte Zuhörer und Brüder!" sprach das hagere
Männchen, „Jedermann weiß, daß man nicht von der Luft
leben kann und daß man Pflanzen zum Unterhalte braucht!
(Beifall.) Aber Ihr begnügt Euch nicht damit. Euch satt zu
essen, sondern Euer Gott ist Euer Magen! Keine Knospe,
keinen Stengel könnt Ihr stehen lassen — und wenn Ihr Euch zu
todt freßt! (Gemurmel.) Und habt Ihr gepraßt und geschwelgt
und die stattlichsten Bäume entlaubt, was dann? Dann hüpft
Ihr den hübschen Maikäferinnen nach, umschmeichelt und hofirt
sie! Keiner denkt mehr an's Heirathen, frei liebt Ihr hin und
her, heute Die, morgen Jene! Da ist es wahrlich kein Wunder,
wenn zur Strafe für Eure zahllosen Sünden die Menschen auf
uns losgelassen werden, auf daß sic uns vertilgen bis auf den
letzten Maikäfer!"

„Wenn wir uns vertilgen lassen!" lärmten die Betroffenen
und setzten ihre Fühlhörner und Vorderfüße in drohende Bewegung.
Der Präsident erkletterte den höchsten Rübcnstengel und ries die
Unterbrecher zur Ordnung.

Das hagere Männchen fuhr fort: „Ich sehe nur zwei
Auswege, uns aus dieser schrecklichen Lage zu erretten. Vor
allem müßt Ihr Buße thun, das heißt der Völlerei und Sinnen-
lust entsagen, und zweitens schleunigst eine Monstre-Petition
beim Magistrate einreichen, worin Ihr Euch verpflichtet, die dem
Menschen nothwendigen Gewächse zu schonen und mit Disteln,
Nesseln und Unkraut vorlieb zu nehmen. Nur auf diese Weise
kann uns geholfen werden, sonst sind wir Alle verloren!"

äikäfer.

Wenig Beifall von der Rechten lohnte die kurze Philippica,
die Linke und das Centrum aber zischten mit ihren Flügeln.
„Suuin cuique, das heißt Jedem das Seine!" bemerkte, ein
gelehrt nussehender Maikäfer. „Die Disteln sind für die Esel,
die Nesseln für die Raupen und das Unkraut für die Rinder!
Aber unser Eines labt sich an edlem Laubwerk, und die Blüthen
sind unsere Kost; deßhalb sind wir Maikäfer geworden und
nicht bescheidene Esel, Raupen oder Rinder. Ich bin also gegen
den Antrag. Dixi, ich habe gesprochen!" (Lebhafter Beifall.)

„Das Naturreich ist der Kampf um's Dasein, meine
Herren Maikäfer!" sumste ein hervorragendes Kammermitglied,
dessen Statue in jeder Chocolade-Niederlage ausgestellt war.
„Der Stärkere verschlingt den Schwächeren, vielleicht ein grau-
sames Naturgesetz, aber jedenfalls nothwendig zur Harmonie des
Ganzen. Man muß sich also dem Interesse des Ganzen opfern,
meine Herren Maikäfer, und diese Opferwilligkeit bis zum letzten
Blutstropfen ansdehnen. Es ist z. B. erwiesen, daß sich unsere
sterbliche Hülle zur Bereitung von Berlinerblau vorzüglich eignet!
Begeistert Euch dies nicht? Stürbe nicht Jeder von Euch gerne,
um Berlinerblau zu werden?" (Nein, ja, nein!)

„Oh, des schnöden Eigennutzes! — So erfahrt denn,
daß wir noch eine höhere Bestimmung in uns tragen!" (hört,
hört!) Sogar zur Bereitung von Leuchtgas eignen wir uns, und
Leuchtgas ist Licht, meine Herren Maikäfer! Und weil Pro-
metheus das Leuchtgas den Menschen brachte, mußte er sich die
Leber von einem Geier anshacken lassen! Mitbürger, welch'
erhabenes Vorbild! Opfern auch Wir uns mit dem stolzen
Selbstbewußtsein, durch unseren Tod an dem großartigen Trieb-
werke des Naturreiches beigctragen zu haben. Es lebe das
Naturreich!" (Große Aufregung.)

„Was opfern? Unsinn!" schnurrte ein rothschimmernder
Agitator. „Was fragen wir nach dem Naturreich, nach Kunst
und Wissenschaft! Der Müßiggang ist unser Banner, die
Genußsucht unsere Devise. Leuchtgas! Berlinerblau! Sind
wir nicht Selbstzweck? — — Der Vorredner hat den Kampf
um's Dasein erwähnt, ich will den Kampf um's Dableiben!
(Bravo!) Es droht uns Massenvernichtung, dagegen sind selbst
die äußersten Mittel erlaubt. Und da es uns an Dynamit
und Petroleum fehlt, so laßt uns tödtlichen Saft sammeln von
den giftigen Pflanzen und ihn in die Brunnen träufeln; von
dort aus verbreitet sich das Verderben überall hin, denn täglich
sehe ich's ja, wie die Menschen Bier und Wein und Milch
mit Wasser verbessern und würzen! Ergo, durch Gift zum
Sieg, dann sind wir in kurzer Zeit die Herren der Schöpfung!
(Jauchzen und nicht billigendes Gesumse.)

„Ich verwerfe den Vorschlag des geehrten Vorredners!"
versetzte ein taumelnder Bonvivant, der nach Kirschblüthen duftete.
„Sinnen wir statt der mittelalterlichen Brunncnvergiftung eine
andere milde Rcttungsweise für uns aus!" Kurze Panse,
während welcher der Redner nachdenklich einen Tropfen Thau
nach dem anderen schlürft. „Mir fällt leider nichts ein!"
(Heiterkeit.) „Wir Maikäfer haben überhaupt wenig Erfindungs-
geist ! " (Ooooh!) Der Bonvivant trinkt wieder. „Aber wer
weiß, kommt Zeit, kommt Rath; vielleicht sitzt schon Einer unter
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