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Stadtarchäologie in Braunschweig — Forschungen der Denkmalpflege in Niedersachsen, Band 3: Hameln: Verlag CW Niemeyer, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.57459#0015
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Zum Arbeitsstand stadtarchäologischer
Denkmalpflege in Braunschweig
Hartmut Rötting

1. Archäologisch-historische Befunde zu
vor- und frühstädtischer Zeit im Überblick

Historische Grundfragen

Die schwierigen Kernfragen historischer Stadtfor-
schung nach Stadtentstehung und Stadtausbau lassen
sich auch in Braunschweig auf der Basis der überlie-
ferten Schriftquellen nur sehr umrißhaft in Ansätzen
und strukturell in größeren Zusammenhängen einer
räumlich übergeordneten, historischen Bedingungs-
lage beantworten. Gegenständlich bezogene Sied-
lungsfragen sind nicht zu klären1.
Die Grundfragen gelten den Anfängen, der Funktion
und den Entwicklungsstadien praeurbaner Siedlungs-
formen bis um 1130 und ihrer Bedeutung im Nord-
harzvorland. Sie beziehen sich aber auch in gleicher
Weise auf Ausmaß und Ablauf des frühen Stadtaus-
baues zur geplanten Gruppenstadt Heinrichs des
Löwen in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts.
In den älteren Versuchen zur geschichtlichen Klärung
des Stadtentstehungsprozesses, der sich seit dem
8. Jahrhundert in längeren Etappen vollzogen haben
soll, wurde im Grunde immer wieder die gleiche Frage
nach Lage, Alter und Funktion mehrteilig auf beiden
Seiten der Oker angenommener Siedlungskerne ge-
stellt und ihr Verhältnis untereinander wie vor allem
zu einem befestigten Herrensitz jeweils nur in unter-
schiedlicher Reihenfolge gewichtet und gruppiert2.
Erst in jüngerer Zeit sind neue Wege beschritten wor-
den, die sich der eigentümlichen Siedlungskonstella-
tion am Unterlauf der Oker unter landesgeschichtli-
chem und quellenkritischem Aspekt wieder nähern3.
Das überlieferte Siedlungsgefüge besteht einerseits in
der „villa brunesguik“ um St. Magni auf dem rechten,
östlichen Okerufer im Bereich der Diözese Halber-
stadt, erstmals genannt in dem Weiheprotokoll von St.
Magni, datiert 1031 (Kamp 1982, 21). Und es besteht
andererseits im Dorf Dankwarderode wie in der Burg
gleichen Namens links der Oker, auf dem westlichen,
zur Diözese Hildesheim gehörenden Uferstreifen.
Beide sind mittelbar für das Jahr 1067 in der ältesten
Urkunde für das Burgstift zu belegen (Last 1982, 35).
Im Gegensatz zur Frühzeit der Siedlungsanfänge er-
strahlte die seit dem ausgehenden Hochmittelalter po-
litisch-wirtschaftlich erstarkende Stadt Heinrichs des
Löwen - einer „Stadt der fünf Städte“ (Dürre 1861,

671) - um so heller im Bewußtsein der Nachfahren. Sie
hatte sich sehr zielstrebig zu einer handwerks- und
handelsstrukturierten Großstadt eigener Macht und
Freiheit entwickelt: zu einem Vorort des niedersäch-
sischen Quartiers der Hanse mit über 18000 Einwoh-
nern4. Die Frühzeit des Stadtausbaues aber blieb auch
hier verborgen und war nach Umfang und Technik nur
andeutungsweise zu umschreiben.
Erst in der Einbeziehung neuzeitlicher stadtkartogra-
phischer, ikonographischer und parzellengeschichtli-
cher Quellen in Verbindung mit einer schrittweisen
topographischen Rückschreibung im methodischen
Rahmen der vergleichenden Stadtforschung sind neue
Kriterien und Fakten entwickelt und gewonnen wor-
den5.
Der Mangel an Schriftquellen und die methodischen
Schwierigkeiten wurden in der quellenkritischen
Stadtgeschichtsforschung seit 1948 in zunehmendem
Maße hervorgehoben und verbanden sich mit dem
Hinweis und der Hoffnung, „Spatenuntersuchungen“
(Steller 1954, 74) wie „allein gezielte Stadtkernfor-
schungen könn(t)en begründete Erkenntnisse über die
Frühgeschichte Braunschweigs liefern“ (Gar^mann
1976, 17).
Archäologischer Arbeitsansatz

Stadtkernarchäologische Arbeit unterliegt in ihren
Ergebnissen ebenfalls der qualitativen und quantitati-
ven örtlichen Quellenlage, sie unterliegt aber auch den
spezifisch begrenzten Aussagemöglichkeiten ihrer
Funde und Befunde. Historische Vorgänge, wenn sie
archäologisch wieder erschlossen werden sollen, müs-
sen sich während der Entstehung mit ihren Realien
förmlich in den Boden eingeschrieben haben. Nur
unter dieser Bedingung sind sie ausgrabungsfahig.
Mauern, Schichten, Gruben und Gegenstände, die sich
in der Regel in einem sehr fragmentarischen Zustand
befinden, der sich darüber hinaus infolge von Boden-
einwirkungen bis zur Unkenntlichkeit verändert und
in Spuren verflüchtigt haben kann, bedürfen ferner zu
ihrer methodischen Dechiffrierung aufwendiger, lang-
wieriger und interdisziplinärer Arbeitsprozesse.

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