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Das Rathaus in Duderstadt — Forschungen der Denkmalpflege in Niedersachsen, Band 6: Hameln: Verlag CW Niemeyer, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.57465#0016
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ULRICH HUSSONG

70 Mark ebenfalls an die ,treuen Bürger“ der
Stadt.39) Zwei Jahre später ist er noch nicht einge-
löst.40-1 Die Herzöge Heinrich und Wilhelm ver-
setzten 1335 der Stadt Münze und Wechsel auf drei
Jahre.41) Nach der Gewohnheit der Zeit geschahen
die Verkäufe, sofern sie nicht von vornherein befri-
stet waren, zu Wiederkaufsrecht, d.h. sie konnten
jederzeit durch Zahlung der Kaufsumme rückgän-
gig gemacht werden. Sie sind deshalb eigentlich als
die Gewährung eines Kredits zu bezeichnen, ohne
daß sie gegen das kanonische Zinsverbot verstie-
ßen. Die ständige Geldknappheit der Welfen, die
Anlaß zu diesen vielfältigen Verkaufsaktionen bot,
ermöglichte es jedoch den Herzögen nicht, das ver-
briefte Recht des Wiederkaufs auch auszuüben, so
daß die Stadt auf Dauer im Besitze der gekauften
Hoheitsrechte blieb.
Aus dem gleichen Grunde hatte die schrittweise
Verpfändung und der anschließende Verkauf der
Stadt an das Erzstift Mainz — zwischen 1334 und
1336 wurden fünf Sechstel der Stadt versetzt, 1342
und 1358 je ein Drittel verkauft und vor 1366/1367
das noch fehlende Sechstel verpfändet42) — zur
Folge, daß die Stadt in den Bereich der mainzischen
Landesherrschaft wechselte, ohne daß dieses von
Anfang an geplant war oder es hierzu eines formel-
len Aktes bedurft hätte. In einigen der Urkunden
ist das Rückkaufrecht auf zwei Jahre befristet wor-
den mit dem ausdrücklichen Zusatz, daß nach Ab-
lauf dieser Zeit die Stadt auf ewig dem Stifte Mainz
untertänig bleiben solle.43) Die welfischen Her-
zöge, die zugleich mit der Ausstellung der Verpfän-
dungs- und Kaufurkunden der Stadt befahlen, dem
neuen Landesherrn zu huldigen, fanden sich aller-
dings mit der eindeutigen Rechtslage — sie hatten
die von ihnen selbst gesetzten Rückzahlungsfristen
verstreichen lassen — später nicht ab. Aber erst im
16. Jahrhundert machten sie ihre Ansprüche auf
Duderstadt, Schloß und Amt Gieboldehausen, Ge-
richt und See zu Bernshausen (den heutigen See-
burger See) geltend44), dann allerdings in drängen-
der Form. Hessen-Kassel und Kursachsen wurden
um Vermittlung ersucht und eine kaiserliche Kom-
mission eingesetzt.45) 1572 kam es vor dem von den
Parteien zum Schiedsrichter ernannten Landgrafen
von Hessen-Kassel zum Prozeß, der sich bis zum
Aussterben der Linie Braunschweig-Grubenhagen
1596 fortschleppte.46) Nunmehr machte auch das
Stift Quedlinburg alte Rechte geltend: das Herzog-
tum Braunschweig habe das ihm 1247 aufgetragene
Lehen47) nicht ohne seine Zustimmung an Mainz
verkaufen dürfen. 1587 trat das Stift seine Ansprü-
che an die Wolfenbütteler Linie der Welfen ab.
Diese mußte jedoch im Nachfolgestreit um Gru-
benhagen dieses Fürstentum an die Verwandten der
Celler Linie abtreten (1614). Verhandlungen mit
Mainz während und nach dem Dreißigjährigen
Kriege (1618 — 1648) führten zu keinem Ergebnis;

allerdings kam es 1634/1635 zu einem Versuch, die
Stadt mit Gewalt in Besitz zu bringen.48) 166 8 be-
mühte sich eine kaiserliche Kommission in Witzen-
hausen um einen Schiedsspruch, 1669 trafen sich
die Parteien und Vermittler erneut, aber wiederum
ergebnislos.49)
Solche territorialen Ansprüche darf man nicht
überbewerten. In der frühen Neuzeit wurden um
Nichtigkeiten jahrhundertelang Prozesse geführt,
weniger um sich vor Gericht durchzusetzen als viel-
mehr um alte Rechtstitel zu verteidigen und mög-
licherweise in Kompensationsgeschäften verwen-
den zu können. Zu einem solchen Vergleich kam es
endlich 1692, als Mainz der Besitz des Untereichs-
felds zugesichert wurde und es im Gegenzug auf
andere Territorialrechte verzichtete (unter anderem
die Gerichte Hardenberg und Geismar und fünf
Dörfer im Gartetal).50) Weitere gut einhundert
Jahre später konnten die Welfen ihre Ansprüche
vollständig durchsetzen: mit der Neuordnung
Deutschlands und Europas auf dem Wiener Kon-
greß 1815 fielen Duderstadt, das Amt Gieboldehau-
sen und das Gericht Seeburg — also genau die Ge-
biete, welche Braunschweig-Grubenhagen im 16.
Jahrhundert beanspruchte — an das von den Welfen
regierte Königreich Hannover und nicht wie noch
1802 nach der Säkularisation und 1813 nach der Re-
stitution an Preußen.
Der zwischen 1334 und 1366 in Etappen vorge-
nommene Übergang Duderstadts an Mainz, der
sich für Duderstadt von größter Bedeutung erwei-
sen sollte — nicht nur wegen der Frage der Landes-
hoheit, sondern auch wegen der weitreichenden
wirtschaftlichen und konfessionellen Konsequen-
zen —, änderte nichts an den überkommenen Rech-
ten. Sie wurden 1334 vom Erzbischof ausdrücklich
bestätigt.51) Aus einer Urkunde des gleichen Jahres
geht hervor, daß auch das Gericht „halb vor der
stat“ in die Verpfändung einbezogen war.52) In
dem Huldigungsrevers von 1342 wird vor Rat und
Gemeinde ein Ratsmeister („ratismeister“) genannt,
der offensichtlich die Spitze der Selbstverwaltung
bildete und hier erstmals erscheint.53) Der Rat
selbst, so läßt sich nachweisen, hat schon in der
Frühzeit der Stadt beständige Formen angenommen,
1273 zählte er zwölf Mitglieder, die namentlich auf-
gezählt werden.54) Der Vogt, wie in welfischer Zeit
Vertreter des Landesherrn, verlor seit dem Über-
gang an Mainz an Bedeutung. Seine wichtigste Auf-
gabe war der Vorsitz im Gericht, wobei als Schöffen
die Ratsleute fungierten — „rad odir scheffin“ hei-
ßen sie synonym55) — während der Rat im eigent-
lichen Sinne für Verwaltungsdinge zuständig war.
Schritt für Schritt erweiterten die Erzbischöfe
von Mainz die Privilegien der Stadt. In der soeben
genannten Urkunde von 1358 versprachen sie, die
Pfarrkirche (also St. Cyriakus) weder dem Deut-
schen Orden noch irgendeinem anderen Orden zu

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