ULRICH HUSSONG
Die Rechnungsbücher und das Statut von 1438
lassen klar erkennen, daß die neun Gildemeister
nur für die Erhebung des außerordentlichen Schos-
ses eingesetzt und für die übrige Finanzverwaltung
nicht zuständig waren. In die Ratsverfassung sollte
nicht auf Dauer eingegriffen, sondern nur ein vor-
übergehender Notstand behoben werden. Demzu-
folge verwundert es nicht und ist es auch nicht mit
lückenhafter Quellenüberlieferung zu erklären,
daß die Institution der neun Gildemeister — ebenso
wie die der Achtmänner von 1349 — in den Quellen
später nicht mehr genannt wird. Dennoch lassen
die Quellen keinen Zweifel daran, daß ohne die
Gilden keine wichtigen Entscheidungen mehr ge-
fällt werden konnten.
1443 wurden vom Rat Viermänner eingesetzt, die
die Kämmerer unterstützten und alles und einzel-
nes, was die Stadt Duderstadt betrifft, offenleg-
ten.92’ Die Schaffung dieses Gremiums, über das
nur eine kurze Notiz im Rechnungsbuch unterrich-
tet, hat sicherlich die Absicht, dem Rat einen ge-
naueren Überblick über Einnahmen und Ausgaben
der Stadt zu verschaffen, denn in diesen Jahren
häuften sich Verkäufe ,um der Stadt Not willen’.93’
Ursache der Finanzknappheit, die im Spätmittelalter
alle Städte gleichermaßen betraf, war die Zunahme
des Fehdewesens, die die Stadt zu verstärkten Ver-
teidigungsanstrengungen zwang, was auf der Aus-
gabenseite zu Buche schlug, und zugleich wegen
der Unsicherheit des Handels das Wirtschaftsleben
beeinträchtigte, also das Steueraufkommen vermin-
derte. Die Schere zwischen Ausgaben und Einnah-
men öffnete sich weiter durch Versuche des Rates,
Defizite durch (hochverzinsliche) Rentenkäufe ab-
zudecken, eine Maßnahme, die auf lange Sicht die
Verschuldung noch steigerte. Die Kosten für die
Erwerbung einiger umliegender Dörfer,94’ der
Stadtbrand von 1424 und der Rathausbau taten ihr
übriges.
In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wur-
den die Gildemeister mehrfach an Beschlüssen des
Rates beteiligt.95’ Die Zahl ,neun’ wird nicht ge-
nannt, aber es ist nicht unwahrscheinlich, daß das
Gremium der neun Gildemeister, für den besonde-
ren Zweck der Erhebung des außerordentlichen
Schosses einmal eingesetzt, auch in den anderen
Fällen zu Rate gezogen wurde, die für die Hand-
werker von Belang waren.
Im Jahre 1462 wurden die Spannungen zwischen
Gilden und Rat auch nach außen getragen. In der
Mainzer Stiftsfehde stritten Dietrich von Isenburg
und Adolf von Nassau um den erzbischöflichen
Stuhl, in deren Verlauf Adolf von Nassau, um Ver-
bündete zu gewinnen, das Untereichsfeld ein-
schließlich Duderstadt für 14 000 Gulden an Land-
graf Ludwig von Hessen verpfändete.96’ Obwohl
Papst Pius II. mit Zustimmung Kaiser Friedrichs
III. Dietrich ab- und Adolf eingesetzt hatte und
dies der Stadt mitgeteilt war (1461, wohl im Som-
mer),97’ erklärten sich die Städte des Eichsfeldes,
nämlich Heiligenstadt und Duderstadt, für Diet-
rich, da dieser ihnen Privilegien gewährt hatte.98’
Die Gilden der beiden Städte jedoch ergriffen für
Adolf Partei. In der Fastenzeit 1462 näherte sich ein
Heer des Landgrafen Ludwig von Hessen, um die
Ansprüche Adolfs von Nassau durchzusetzen. An-
gesichts dieser Situation schien die gildenfreund-
liche Partei in Heiligenstadt ihre Sache für günstig
anzusehen und bewaffnete sich. Der Heiligenstäd-
ter Rat schickte nach Duderstadt um Hilfe. Die von
dort ausgesandten Schützen unterdrückten den Auf-
stand.99’ Die beiden Städte sahen sich nun in der
Lage, in Verhandlungen des Frühsommers 1462
selbständig aufzutreten und zu erreichen, daß das
Eichsfeld für neutral erklärt und dem Schutz des
Landgrafen Ludwig von Hessen und des Herzogs
Wilhelm von Sachsen unterstellt wurde.100’ — Mit
der Mitteilung Dietrichs an seine Städte, daß er zu-
gunsten von Adolf auf die Regierung verzichtet
habe,101’ endete der Machtkampf um den Mainzer
Stuhl.
Die Finanzknappheit der Stadt und die offene
Frage, wie die außergewöhnlichen Belastungen auf
die Einwohnerschaft verteilt werden sollten, ließ
1477 bis 1479 den Konflikt zwischen Rat und Gil-
den offen ausbrechen. Der Anlaß war unerheblich:
in die vor dem Steintor gelegene Hochstadtsmühle
war um Pfingsten 1477 eingebrochen worden, und
der sofort benachrichtigte Bürgermeister Hans
Wehren weigerte sich, noch am späten Abend die
Verfolgung der Diebe aufnehmen zu lassen. Am an-
deren Morgen gingen die Gildemeister mit allen
ihren Haufen „up dat radhus“, ließen die Türen
schließen und setzten Bürgermeister Hans Wehren
mit Gewalt ab.102’ Von Mainz aus erging der Befehl,
ihn wieder in sein Amt einzusetzen. Als dies nichts
fruchtete, reiste eine Kommission mit dem Bruder
des Kurfürsten an der Spitze nach Heiligenstadt.
An der Spitze der Unzufriedenen setzte sich in der
Folgezeit der Ratsherr Berit Karl, den einige wei-
tere Ratsherren und die Gilden unterstützten, wäh-
rend die Gegenseite von dem neuen Bürgermeister
Rode angeführt wurde. Vermittlungsversuche des
Adels und auch einiger Städte wie Göttingen oder
Braunschweig schlugen fehl. Rode unterwarf sich
schließlich einem Urteil, das Rat und Gilden ge-
meinsam fällen sollten. Die Entscheidung von altem
und neuem Rat — eine Beteiligung der Gilden ist
nicht mehr genannt — lautete schließlich, daß Berit
Karl seinö Klage schriftlich einreichen und diese
zusammen mit Rodes Antwort zur Entscheidung
nach Braunschweig geschickt werden sollte. Ganz
nebenbei erfahren wir so, daß sich Duderstadt auch
nach über einhundertjähriger Zugehörigkeit zum
Erzstift Mainz noch der Zugehörigkeit zur Braun-
schweiger Stadtrechtsfamilie bewußt war und deshalb
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Die Rechnungsbücher und das Statut von 1438
lassen klar erkennen, daß die neun Gildemeister
nur für die Erhebung des außerordentlichen Schos-
ses eingesetzt und für die übrige Finanzverwaltung
nicht zuständig waren. In die Ratsverfassung sollte
nicht auf Dauer eingegriffen, sondern nur ein vor-
übergehender Notstand behoben werden. Demzu-
folge verwundert es nicht und ist es auch nicht mit
lückenhafter Quellenüberlieferung zu erklären,
daß die Institution der neun Gildemeister — ebenso
wie die der Achtmänner von 1349 — in den Quellen
später nicht mehr genannt wird. Dennoch lassen
die Quellen keinen Zweifel daran, daß ohne die
Gilden keine wichtigen Entscheidungen mehr ge-
fällt werden konnten.
1443 wurden vom Rat Viermänner eingesetzt, die
die Kämmerer unterstützten und alles und einzel-
nes, was die Stadt Duderstadt betrifft, offenleg-
ten.92’ Die Schaffung dieses Gremiums, über das
nur eine kurze Notiz im Rechnungsbuch unterrich-
tet, hat sicherlich die Absicht, dem Rat einen ge-
naueren Überblick über Einnahmen und Ausgaben
der Stadt zu verschaffen, denn in diesen Jahren
häuften sich Verkäufe ,um der Stadt Not willen’.93’
Ursache der Finanzknappheit, die im Spätmittelalter
alle Städte gleichermaßen betraf, war die Zunahme
des Fehdewesens, die die Stadt zu verstärkten Ver-
teidigungsanstrengungen zwang, was auf der Aus-
gabenseite zu Buche schlug, und zugleich wegen
der Unsicherheit des Handels das Wirtschaftsleben
beeinträchtigte, also das Steueraufkommen vermin-
derte. Die Schere zwischen Ausgaben und Einnah-
men öffnete sich weiter durch Versuche des Rates,
Defizite durch (hochverzinsliche) Rentenkäufe ab-
zudecken, eine Maßnahme, die auf lange Sicht die
Verschuldung noch steigerte. Die Kosten für die
Erwerbung einiger umliegender Dörfer,94’ der
Stadtbrand von 1424 und der Rathausbau taten ihr
übriges.
In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wur-
den die Gildemeister mehrfach an Beschlüssen des
Rates beteiligt.95’ Die Zahl ,neun’ wird nicht ge-
nannt, aber es ist nicht unwahrscheinlich, daß das
Gremium der neun Gildemeister, für den besonde-
ren Zweck der Erhebung des außerordentlichen
Schosses einmal eingesetzt, auch in den anderen
Fällen zu Rate gezogen wurde, die für die Hand-
werker von Belang waren.
Im Jahre 1462 wurden die Spannungen zwischen
Gilden und Rat auch nach außen getragen. In der
Mainzer Stiftsfehde stritten Dietrich von Isenburg
und Adolf von Nassau um den erzbischöflichen
Stuhl, in deren Verlauf Adolf von Nassau, um Ver-
bündete zu gewinnen, das Untereichsfeld ein-
schließlich Duderstadt für 14 000 Gulden an Land-
graf Ludwig von Hessen verpfändete.96’ Obwohl
Papst Pius II. mit Zustimmung Kaiser Friedrichs
III. Dietrich ab- und Adolf eingesetzt hatte und
dies der Stadt mitgeteilt war (1461, wohl im Som-
mer),97’ erklärten sich die Städte des Eichsfeldes,
nämlich Heiligenstadt und Duderstadt, für Diet-
rich, da dieser ihnen Privilegien gewährt hatte.98’
Die Gilden der beiden Städte jedoch ergriffen für
Adolf Partei. In der Fastenzeit 1462 näherte sich ein
Heer des Landgrafen Ludwig von Hessen, um die
Ansprüche Adolfs von Nassau durchzusetzen. An-
gesichts dieser Situation schien die gildenfreund-
liche Partei in Heiligenstadt ihre Sache für günstig
anzusehen und bewaffnete sich. Der Heiligenstäd-
ter Rat schickte nach Duderstadt um Hilfe. Die von
dort ausgesandten Schützen unterdrückten den Auf-
stand.99’ Die beiden Städte sahen sich nun in der
Lage, in Verhandlungen des Frühsommers 1462
selbständig aufzutreten und zu erreichen, daß das
Eichsfeld für neutral erklärt und dem Schutz des
Landgrafen Ludwig von Hessen und des Herzogs
Wilhelm von Sachsen unterstellt wurde.100’ — Mit
der Mitteilung Dietrichs an seine Städte, daß er zu-
gunsten von Adolf auf die Regierung verzichtet
habe,101’ endete der Machtkampf um den Mainzer
Stuhl.
Die Finanzknappheit der Stadt und die offene
Frage, wie die außergewöhnlichen Belastungen auf
die Einwohnerschaft verteilt werden sollten, ließ
1477 bis 1479 den Konflikt zwischen Rat und Gil-
den offen ausbrechen. Der Anlaß war unerheblich:
in die vor dem Steintor gelegene Hochstadtsmühle
war um Pfingsten 1477 eingebrochen worden, und
der sofort benachrichtigte Bürgermeister Hans
Wehren weigerte sich, noch am späten Abend die
Verfolgung der Diebe aufnehmen zu lassen. Am an-
deren Morgen gingen die Gildemeister mit allen
ihren Haufen „up dat radhus“, ließen die Türen
schließen und setzten Bürgermeister Hans Wehren
mit Gewalt ab.102’ Von Mainz aus erging der Befehl,
ihn wieder in sein Amt einzusetzen. Als dies nichts
fruchtete, reiste eine Kommission mit dem Bruder
des Kurfürsten an der Spitze nach Heiligenstadt.
An der Spitze der Unzufriedenen setzte sich in der
Folgezeit der Ratsherr Berit Karl, den einige wei-
tere Ratsherren und die Gilden unterstützten, wäh-
rend die Gegenseite von dem neuen Bürgermeister
Rode angeführt wurde. Vermittlungsversuche des
Adels und auch einiger Städte wie Göttingen oder
Braunschweig schlugen fehl. Rode unterwarf sich
schließlich einem Urteil, das Rat und Gilden ge-
meinsam fällen sollten. Die Entscheidung von altem
und neuem Rat — eine Beteiligung der Gilden ist
nicht mehr genannt — lautete schließlich, daß Berit
Karl seinö Klage schriftlich einreichen und diese
zusammen mit Rodes Antwort zur Entscheidung
nach Braunschweig geschickt werden sollte. Ganz
nebenbei erfahren wir so, daß sich Duderstadt auch
nach über einhundertjähriger Zugehörigkeit zum
Erzstift Mainz noch der Zugehörigkeit zur Braun-
schweiger Stadtrechtsfamilie bewußt war und deshalb
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