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Das Rathaus in Duderstadt — Forschungen der Denkmalpflege in Niedersachsen, Band 6: Hameln: Verlag CW Niemeyer, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.57465#0034
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ULRICH HUSSONG

auszuwandern, einige von ihnen stellte der Ober-
amtmann des Eichsfeldes persönlich vor diese Alter-
native. Zugleich wurde eine Regelung in Kraft ge-
setzt, die das Vermögen Auswanderungswilliger
besteuerte.301’ 1632 änderte sich das Blatt. Am 27.
Februar kapitulierte die Stadt vor dem Herzog Wil-
helm von Weimar, um nur wenig später, am 17. Juni,
vom kaiserlichen General von Pappenheim erobert
7 zu werden.302) Dieser legte eine Besatzung in die
Stadt und ließ die Verteidigungsanlagen verstärken.
Nach einer entsprechenden Vermutung von Lerch
sind zu dieser Zeit die Bastionen angelegt worden,
die auf einem der beiden ältesten Stiche (zu datieren
8 auf ungefähr 1640; Ansicht von Nordwesten) zu
sehen sind.303) Nach vierzehntägiger Belagerung
und einer Meuterei der Besatzungstruppen über-
gab der Kommandant der kaiserlichen Truppen die
Stadt am 6. August dem Herzog von Lüneburg und
einem schwedischen General. Diese beschlagnahm-
ten die Kanonen der Stadt und führten sie als Beute
weg, beschlossen weiterhin, die Befestigung der
Stadt schleifen zu lassen und ließen sich von Rat
und Bürgerschaft huldigen. Der Schultheiß und
aufgegriffene mainzische Beamte wurden als Ge-
fangene behandelt und weggebracht, die katholi-
schen Lehrer entlassen, ein neuer Schultheiß ein-
gesetzt und alle Katholiken aus dem Rat ausge-
schlossen.304) Dem General von Pappenheim gelang
es zwar noch einmal am 8. Oktober, die Stadt in
Besitz zu nehmen, doch im November mußte er sie
wieder aufgeben. Bis um 1635 lag nun eine schwe-
disch — weimarische Besatzung in der Stadt.305)
Nach dem turbulenten Jahr 1632, das den finan-
ziellen Ruin der Stadt und ihrer Bürger zum Ergeb-
nis hatte — jeder der vielen Eroberer legte der Stadt
eine Kontribution auf und mehrfach wurde geplün-
dert — hatte es den Anschein, daß die jetzigen pro-
testantischen Herren die starke Pression der katho-
lischen Regierung auf die Bewohner der Stadt, wie
sie ab 1624 zu beobachten ist, umkehrten und nun
die Katholiken unter Druck setzten. Die Verban-
nung der Katholiken aus der Selbstverwaltung der
Stadt wies in diese Richtung, doch 1633 bestimmte
die Obrigkeit, daß „die Catholische und Augspur-
gische Confession gleiches Fußes gehen und ihren
freien Lauff haben solten“, wies dem katholischen
Pfarrer die Liebfrauenkapelle vor dem Neutor zu
und ermahnte die Bürger, „fried- und einbarlich zu
leben“.306’
Nach dem Prager Vorfrieden von 1635 mußte die
Stadt dem Erzstift Mainz zurückgegeben werden,
das die Maßnahmen der Protestanten rückgängig
machte und die zwischenzeitlich angeschlagenen
braunschweigischen Wappen entfernen ließ.307’
Der 1632 vertriebene Schultheiß wurde wieder ein-
gesetzt, ein Rat neu gewählt, die lutherischen Pfar-
rer und Lehrer abgesetzt,308’ 1636 die beantragte
freie Ausübung des lutherischen Bekenntnisses ab-

gelehnt 309’ und 1637 die Bevölkerung ermahnt, zur
katholischen Religion zurückzukehren.310’ Nur
Episode blieb der Durchgang schwedischer Trup-
pen 1637. Der Rat wurde, wie schon einmal 1632,
auf dem Rathaus in Arrest gelegt. Sonderlich hart
scheint die Haft nicht gewesen zu sein, denn er be-
kam auf städtische Kosten Bier dorthin geliefert.311’
1639 kamen die Schweden erneut. Wie mittlerweile
gewohnt, wurden der andersgläubige Pfarrer ver-
trieben, der Stadt eine Kontribution auferlegt und
die Katholiken aus dem Rat gestoßen.312’ 1641 ka-
men die Kaiserlichen, 1642 wieder die Schweden,
auf deren Verlangen 1643 der Wall an mehreren Stel-
len geschleift wurde.313’ Den Katholiken wurde die
Unterkirche eingeräumt, acht von ihnen saßen 1643
neben neun Protestanten im Rat.314’
Der Westfälische Frieden 1648 beendigte zwar
noch nicht die schwedische Besetzung der Stadt,
denn die blieb bis 1650 zur Eintreibung der Kriegs-
entschädigung im Lande315’, regelte aber reichs-
rechtlich endgültig die Frage der Religionsaus-
übung. Danach war der 1. Januar 1624 als Stichtag
für ein ,Normaljahr“ zu nehmen und die Kirchen
entsprechend an die Konfessionen zu verteilen.
Der andersgläubige Bevölkerungsteil sollte nicht
zur Auswanderung gedrängt werden. Für Duder-
stadt hieß das, daß die Protestanten kein Anrecht
an einer der beiden Kirchen geltend machen konn-
ten,316’ jedoch hatten sie zum fraglichen Zeitpunkt
die Lehrer der städtischen Schule gestellt.317’ So
blieb es denn auch bis zum Ende des Kurfürsten-
tums Mainz: die Protestanten mit ihrem noch erheb-
lichen Bevölkerungsanteil — der noch um 1800
knapp ein Drittel betrug318’ — verfügten über keine
Kirche, auch keine Kapelle, aber über einen Anteil
der städtischen Schule. Seit 1659 bestand das Lehr-
personal aus zwei Katholiken, zwei Lutheranern
und einem Kantor.319’ 1655 nahmen die Protestan-
ten unter Bürgermeister, Rat und Bürgerschaft auf
offenem Feld einen Schullehrer an und sicherten
ihm zu, als Privatleute zu seinem Unterhalt bei-
tragen zu wollen.320’
Die Duderstädter nahmen die Regelung des
Westfälischen Friedens nicht unwidersprochen hin.
Mit mehreren Bittschriften wandten sich die evan-
gelischen Ratsverwandten und Bürger an den Erz-
bischof321’, außerdem bemühten sie sich durch eine
Abordnung beim Direktorium des Niedersächsi-
schen Reichskreises um Wiedergewinnung der
Oberkirche. Der Erzbischof war erzürnt darüber,
daß die Bürger „sich abermahl hochverbottener
weis unterstanden haben, wider uns als ihre ordent-
liche vorgesetzte Obrigkeit sich an fremde benach-
barte Herrschaften . . .“ gewendet hatten, bot aber
an, weil er das Recht auf seiner Seite wußte, die
Angelegenheit von einer kaiserlichen Kommission
untersuchen zu lassen (1651).322’ Am 15. Januar
1652 trug der Stadtschultheiß die Erklärung des

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