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Das Rathaus in Duderstadt — Forschungen der Denkmalpflege in Niedersachsen, Band 6: Hameln: Verlag CW Niemeyer, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.57465#0047
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ZUR BAUGESCHICHTE

Seite des Saalbaues, von der zum Zeitpunkt der
Ausführung noch angenommen wurde, daß sie aus
der Entstehungszeit des Saales stammte, die sich
später aber als Überarbeitung nach der Erbauung
der Laube von 1533 herausstellte. Auch von den
beiden Fenstern auf der Nordwand des Saales zwi-
schen den Portalen stellte sich nachher das westli-
Ü9 che als eine nach 1902 hergestellte Kopie des ande-
ren Fensters heraus3’.
Nachdem sich ergeben hatte, daß Lehmgrübners
Darstellung der Baugeschichte und der baulichen
Ausbildung des Rathauses nicht mehr akzeptiert
werden konnte und eine Neuerarbeitung erforder-
lich wurde, erwies sich das Fehlen eines verfor-
mungsgerechten Aufmaßes als gravierender Man-
gel. Eine Neuvermessung konnte aber nicht mehr
durchgesetzt werden, da das von den Studenten
erstellte Architektenaufmaß nun einmal vorlag.
Mit den zur Verfügung stehenden Mitarbeitern
konnte nur noch in Teilbereichen, wo es zur Beur-
teilung einer Situation unentbehrlich war, verfor-
mungsgerecht nachgearbeitet werden. Die archiva-
lische Bearbeitung der Rathausgeschichte wurde
erst kurz vor Beendigung der Bauarbeiten begon-
nen und konnte darum nicht zur Unterstützung
von baulichen Entscheidungen herangezogen wer-
den. Jetzt erst, nach Abschluß der Bauarbeiten und
bei der Aufarbeitung des dokumentierten Materials
für eine Publikation, gewannen wir Erkenntnisse
über das Rathaus, die man zu Beginn der Restaurie-
rungsarbeiten gern zur Verfügung gehabt hätte.
Das Kaufhaus — der gotische Saalbau
Obwohl noch heute die massiven Außenwände
des Rathauses zu einem großen Teil die Wände des
gotischen Saalbaues sind, ist dieser ehemals nur
zweigeschossige Bau von außen nicht mehr erfaß-
bar. Der Laubenvorbau, die Fachwerkaufstockung
und vor allen Dingen neuere Fenstereinbrüche
haben seinen ursprünglichen Charakter zu sehr
169 verändert. Erst im Inneren zeigt der Saal im Ober-
1^0 geschoß jetzt annähernd die Ausdehnung dieses
Bauteils, aber der Eindruck seiner ursprünglichen
167 Ausbildung wird nur in der Kaufhalle im Erdge-
168 schoß vermittelt.
Die mittelalterliche Bezeichnung „Kaufhaus“
für diesen Bauteil (die mittelalterliche Schreibweise
in Duderstadt dafür ist „kophus“, aber auch „coup-
hus“ oder „koyphus“) ist nicht bis in die Gegen-
wart tradiert 4’. In den Archivalien wird dieser Be-
griff 1397 zum ersten Mal verwendet, und er taucht
bezeichnenderweise 1432 zum letzten Mal auf, als
mit dem Neubau des eigentlichen Rathauses — des
südlichen Anbaues, der auch den Ratsweinkeller
enthielt — begonnen wurde. Ihn auf den Saalbau
anzuwenden ist deshalb gerechtfertigt, weil — wie
in anderen Städten überliefert — diese großen städ-

tischen Bauten tatsächlich dem Warenverkauf dien-
ten und der Duderstädter Saalbau schon existierte,
als der Gebrauch dieses Begriffes erstmals überlie-
fert ist. Wie im Mittelalter üblich, wird der Begriff
„Kaufhaus“ pars pro toto für das ganze Gebäude
verwendet worden sein, auch wenn sich der Waren-
verkauf vorwiegend nur im Erdgeschoß abwik-
kelte.
Die 1434 aufgestellten Statuten regeln auch den
Handel und das Verhalten der Kaufleute in der
Stadt. Die Bezeichnung „Kaufhaus“ wird in den
Statuten nicht verwendet, aber im Artikel 282 wird
den Wollwebern vorgeschrieben, daß sie ihr Tuch
erst verkaufen dürfen, wenn es „uppe deme rathuse
twischen den sulen“ geprüft und besiegelt worden
ist. Da es zu jener Zeit im Rathauskomplex Säulen 39
nur in der Kaufhalle gab, kann sich diese Vorschrift 40
nur auf diesen Raum bezogen haben. Eine entspre-
chende Regel für die Leinenweber im Artikel 290
besagt, daß das Leinen „up die vorloven“ geprüft
werden müsse5’. Das Leinentuch könnte an der
gleichen Stelle geprüft worden sein wie das Woll-
tuch. Daraus ergäbe sich, daß der Begriff „Vor-
laube“ auch auf die Kaufhalle angewendet wurde.
Nach der jetzigen Restaurierung und Wiederge-
winnung der großen Räume im Erd- und Oberge-
schoß hat sich die Bezeichnung „Kaufhaus“ (Coup-
hus, Kaufhalle) nur für den großen Raum im Erd-
geschoß eingebürgert, während das Obergeschoß
als „Saal“ bzw. „Rathaussaal“ bezeichnet wird.
Diese Unterscheidung soll in der weiteren Darstel-
lung mit der Benennung der Geschosse als „Kauf-
halle“ bzw. „Saal" aufgenommen werden, während
die Bezeichnung „Kaufhaus“ für den gesamten
Saalbau verwendet wird.
Der leicht schiefwinklige Saalbau hat eine äußere
Breite von 14,95 m und jetzt noch eine mittlere
äußere Länge von 29,70 m. Die ursprüngliche
Länge betrug 32,40 m. Nur in der zweischiffigen
Halle im Erdgeschoß hat sich das mittelalterliche
Gefüge bis heute erhalten, wenn auch nicht ganz
vollständig und auch nicht ganz im ursprünglichen
Zusammenhang. Jedoch läßt sich aus dem Befund
die vollständige Halle zur Zeit ihrer Entstehung re- 16
konstruieren. 17
Von den drei Steinsäulen, die in Ostwestrichtung
den hölzernen Längsunterzug trugen, hat sich nur
die östliche vollständig und im ursprünglichen
Zusammenhang mit dem alten Gefüge erhalten.
Von der mittleren, über der ein Stoß des Unter- 28
zuges angeordnet war, fand sich jetzt noch die Basis
unter dem aufgeschütteten Fußboden. Sie war im
16. Jahrhundert durch eine dicht daneben angeord-
nete, wesentlich dickere Steinsäule ersetzt worden.
Die westliche Steinsäule, die Lehmgrübner in sei-
ner Grundrißzeichnung noch darstellte, ließ sich
jetzt nicht mehr nachweisen. Durch die Abteilung
von Heizungsräumen in der Nordwestecke der

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