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Das Rathaus in Duderstadt — Forschungen der Denkmalpflege in Niedersachsen, Band 6: Hameln: Verlag CW Niemeyer, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.57465#0142
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KONRAD MAIER

bäude ursprünglich anderer Zweckbestimmung ge-
handelt hat, ist unbekannt. Ebenso fehlen konkrete
Hinweise auf dessen Ausdehnung, Bauweise und
Gestalt.
Das „Kaufhaus“ des 14. Jahrhunderts
Etwas festeren baugeschichtlichen Boden betre-
ten wir mit dem schon erwähnten Kernbau selbst.
Dieser muß den vorliegenden dendrochronologi-
schen Daten zufolge zumindest im Erdgeschoßbe-
reich in den Jahren um 1302/1303 ausgeführt wor-
den sein.
154 Das Gebäude ist als ein langgestreckter zweige-
schossiger Rechteckbau zu rekonstruieren, der mit
seiner östlichen Giebelwand weiter als heute in den
Gropenmarkt hineinreichte. Eine verhältnismäßig
niedrige Halle, durch drei Steinsäulen, auf denen
der Längsunterzug der Holzbalkendecke auflag,
zweischiffig gegliedert, nahm das gesamte Erdge-
schoß ein. Durch Türen in den Längswänden und
möglicherweise eine oder mehrere Türöffnungen in
der nicht mehr erhaltenen Ostwand war die Halle
zugänglich.
Der ungeteilte Raum, der das gesamte Oberge-
schoß einnahm, war von beträchtlich größerer
Höhe. Er besaß eine Holzbalkendecke, die vermut-
lich durch eine Hängekonstruktion mit dem Dach-
stuhl verbunden war, so daß auf eine Stützenreihe
ähnlich der des Erdgeschosses verzichtet werden
konnte. Die an den Längswänden festgestellten in
größeren Abständen angeordneten, verhältnismä-
ßig kleinen Fensteröffnungen lassen vermuten, daß
dieser Saal von einem oder mehreren großen Fen-
stern in der Ostwand sein Hauptlicht erhielt.
Erschlossen wurde das Obergeschoß durch zwei
spitzbogige Zugänge in der nördlichen Längs-
wand; welcher Art die dazugehörige Treppenan-
lage war — zwei getrennte Freitreppen mit geson-
derten Podesten oder durchgehender Altan, mög-
licherweise schon von Anfang an verbunden mit
Arkaden in Gestalt einer „Laube“ —, ist wegen des
in den Jahren seit 1531 angefügten Laubenvorbaues
nicht mehr eindeutig zu erkennen.
Wie an der noch vorhandenen Mauersubstanz
abzulesen ist, war das Äußere des Gebäudes
schlicht und in der Flächenhaftigkeit seiner Wände
betont. Besonders einfach, wahrscheinlich fenster-
los war die Westwand; hier zeichnet sich noch der
Umriß des Treppengiebels in der später erhöhten
Giebelmauer ab. Wie dagegen die östliche Giebel-
wand zu rekonstruieren ist, muß der Einbildungs-
kraft überlassen bleiben. Nicht völlig auszuschlie-
ßen ist, daß diese Giebelfront als Schauseite am
Gropenmarkt stärker hervorgehoben war. Jedoch
18 deuten die Symmetrie der Fenster- und Türanord-
nung und der Treppenvorbau der nördlichen
Längswand darauf, daß diese die Hauptfassade mit

den wichtigsten Zugängen zu den beiden Geschos-
sen war.
Durch dendrochronologische Daten für die
Holzkonstruktion der Erdgeschoßhalle scheint die
Datierung des Gebäudes in die Jahre 1302/1303 ge-
sichert zu sein. Dazu ist jedoch zu bemerken, daß
die rechteckig gerahmten Spitzbogenfenster des
Saales im Obergeschoß, die bis auf ein nachträglich
eingefügtes sämtlich zum ursprünglichen Baube-
stand zu gehören scheinen, aus formalen Gründen 19
schwerlich mit einer Entstehungszeit kurz nach 20
1300 in Einklang zu bringen sind. Ihr Blendmaß- 86
werk in den Zwickeln der oberen Ecken, das aus 87
unterschiedlichen, schon fischblasig verzogenen 139
Dreipaßformen besteht, gehört einer späteren Stil-
stufe an. Die frühesten Beispiele für derartige Maß-
werkformen finden wir im südlichen Niedersach-
sen im zweiten Drittel des 14. Jahrhunderts.I7) Auf-
grund dieser Gegebenheit wäre auf eine längere
Bauzeit, vielleicht sogar mit einer Unterbrechung,
zu schließen.
Eine nachträgliche Veränderung, die wahrschein-
lich im Laufe des 14. Jahrhunderts erfolgte,18) war
der Einbau eines mit einem Kreuzrippengewölbe
versehenen, einige Stufen tiefergelegten Raumes in 35
Erdgeschoßhalle. Der Gewölbeschlußstein zeigt
ein fratzenartig grinsendes Gesicht, das wohl als
„Neidkopf“ zu deuten ist. Hervorzuheben sind fer-
ner drei Schranknischen in der Nord- und Ost-
wand, die Hinweise auf die Funktion des Raumes
geben könnten.
Ebenfalls eine nachträgliche Zutat ist der kleine
zweigeschossige und mit einem tonnengewölbten
Keller ausgestattete Annex, der etwa in der Mitte
der südlichen Längsseite anschließt. Sein kreuzrip-
pengewölbtes Erdgeschoß, 1531 erstmals als „Salz-
kammer“ erwähnt,18^ wurde mit der Halle des
Hauptbaues durch Umwandeln eines Fensters zu
einer Tür unmittelbar verbunden, während sein
Obergeschoß über einen im Winkel auf der West-
seite angefügten Treppenturm zugänglich war. Ob
dieser Anbau noch im 14. Jahrhundert, in nur gerin-
gem zeitlichen Abstand zum Hauptbau, entstan-
den ist, worauf die Maßwerkformen seiner ältesten 33
Fenster hinweisen könnten, oder doch erst einer
späteren Zeit — vielleicht sogar erst kurz vor oder
nach Anfügung des Ratsstubenannexes von 1432 —
angehört,19' bedürfte noch näherer Überprüfung.
Auch das Wappen des Mainzer Erzstiftes, das
„Mainzer Rad“, das im Gewölbeschlußstein des
Erdgeschosses angebracht ist, läßt einen weiten
Datierungsspielraum.
Welchen Nutzungen diente ursprünglich der
Kernbau des Rathauses? Die Halle im Erdgeschoß
gilt seit Lehmgrübner als „Verkaufshalle“, der Saal
im Obergeschoß als „Bürgersaal“ älterer, auch von
ihm gebrauchter Terminologie, als Mehrzweck-
raum für Versammlungen und festliche Veranstal-

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