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Das Rathaus in Duderstadt — Forschungen der Denkmalpflege in Niedersachsen, Band 6: Hameln: Verlag CW Niemeyer, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.57465#0166
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MARTIN THUMM

zu dieser Restaurierung im Geiste des 19. Jahrhun-
derts, der partiell selbst schon eigener kulturge-
schichtlicher Wert zugesprochen werden muß (das
westliche der beiden gotischen Saalfenster auf der
175 Nordlaube stammt von 1902 und ist eine in das mit-
49 telalterliche Mauerwerk eingesetzte Kopie des be-
86 nachbarten Originals. Es gäbe keinen Grund, dies
rückgängig zu machen!). Die Frage, welche Posi-
tion die für die damalige Restaurierung Verant-
wortlichen innerhalb der zeitgenössischen Diskus-
sion um die richtige Denkmalpflege eingenommen
haben, kann in diesem Rahmen nicht erörtert wer-
den. Bekannt waren schon seit den Bemühungen
um die Marienburg die Gefahr beschönigender
Geschichtsklitterung, die Problematik der Vollen-
dung z.B. des Kölner Doms, des Stilpurismus, den
etwa die Frauenkirche in München erdulden
mußte, und die Gefahr der Entgleisungen der
schöpferisch rekonstruktionswütigen Architekten,
denen man z.B. den Ott-Heinrichs-Bau des Hei-
delberger Schlosses anvertraut hatte. Es stimmt
nachdenklich, daß alle diese Problemstellungen des
19. Jahrhunderts in auffälligem Maße heute wieder
aktuell sind und in variierter, wenn auch nicht be-
drängender Form am Rathaus auftauchten. Vor die-
sem Hintergrund wäre interessant zu wissen, wozu
man sich bei der damaligen Restaurierung ent-
schlossen hätte, wenn die nunmehr von Grund auf
revidierten Erkenntnisse zur Baugeschichte und
Gestalt des Rathauses schon vorgelegen hätten.
Es war abzusehen, daß die oben genannten be-
währten Grundsätze das übergeordnete Konzept
für die Restaurierung darstellen würden, daß aber
angesichts der historischen Vielschichtigkeit und
der speziellen Bedingungen der Rathaussanierung
viele Lösungsvarianten möglich waren. Diese Rah-
menbedingungen, die in den Beiträgen dieses
Buches im einzelnen dargestellt sind, waren im
wesentlichen:
— die Forderung des Bauherrn, die Baumaßnah-
men so in Abschnitte zu teilen, daß die jeweils
anderen Teilbereiche des Rathauses ununterbro-
chen weitergenutzt werden konnten,
— die Maßgabe, daß Teilbereiche von baulichen
Maßnahmen ausgeschlossen und dadurch auch
einer detaillierten baugeschichtlichen For-
schung entzogen waren,
— das Fehlen einer bauhistorischen Untersuchung,
so daß die Basis für denkmalpflegerische Ent-
scheidungen zunächst äußerst schmal war und
das erste Entwurfskonzept des Architekten Ein-
griffe in die historischen Substanzen vorsah, die
sich später als nicht verantwortbar herausstell-
ten, und schließlich
— das Ziel der Maßnahme: „Ausbau zu einem
Fremdenverkehrszentrum“, das hoffen ließ, daß
die Einbindung des Schauwertes des Rathauses
und der historischen Räume in das Fremdenver-

kehrsprogramm denkmalpflegerischen Zielset-
zungen nicht so viel entgegenstellen würde wie
eine völlige Um- oder Übernutzung.
Mit diesem Ziel war die Darstellung des Rat-
hauses und seiner Geschichte konzeptionell vorge-
geben, was dem Grundsatz „Konservieren statt
Restaurieren“ zugute kam. Im einzelnen waren die
anderen Voraussetzungen eher hinderlich und
mußten notwendigerweise zu einem fließenden
Konzept führen. So wurden denkmalpflegerische
Entscheidungen im Baufortgang so lange wie mög-
lich aufgeschoben und von Fall zu Fall in den Er-
kenntnisstand der begleitenden Bauforschung ein-
gebunden. Auch führten alle diese Vorgaben dazu,
daß die denkmalpflegerischen Entscheidungen in
einer Mischung von analytischer und ganzheit-
licher Betrachtung eines Baudenkmals getroffen
werden mußten.
Ein anderer Umstand darf im Zusammenhang
mit der Frage nach dem denkmalpflegerischen
Konzept nicht unerwähnt bleiben. Obwohl es die
Regel sein sollte, muß besonders darauf hingewie-
sen werden, daß das inzwischen allgemein positiv
angenommene Ergebnis der Maßnahmen ohne die
kontinuierliche Zusammenarbeit eines Teams aus
Fachleuten verschiedener Wissenszweige nicht
denkbar gewesen wäre. Ein entwerfender und ein
bauausführender Architekt, der zuständige Be-
zirkskonservator, gestützt von den Sonderfor-
schungsbereichen des Instituts für Denkmalpflege,
Hannover, allen voran der Bauforscher, Restaura-
toren und Archäologen, gelegentlich hinzugezo-
gene Sonderfachleute, wie etwa aus dem Bereich
der Bauchemie, und ein stets aufgeschlossener Bau-
herr bildeten über die gesamte Bauzeit von über
fünf Jahren eine Arbeitsgruppe, die trotz gelegent-
lich erheblicher Kontroversen zu Ergebnissen kam,
die von allen getragen werden konnten. Freilich
konnten die ersten Maßnahmen, wie etwa am südli-
chen neuen Treppenhaus, in der Qualität des Kon-
zeptes und der Details noch nicht von den Erfah-
rungen profitieren, die später, z.B. beim Bau des
Nordtreppenhauses, zur Verfügung standen. Der
Wille zur Zusammenarbeit und das Selbstverständ-
nis aller Beteiligten waren somit auch ein Teil des
denkmalpflegerischen Konzeptes, waren eine gute
Erfahrung seit der unseligen und im Grunde künst-
lichen Abspaltung einiger in ihrem Berufsethos
„beleidigten“ Architekten, die immer noch nicht
wissen, daß der „entsagungsvolle“ Dienst an einem
Baudenkmal höher zu würdigen ist als der schöpfe-
rische Drang zu fantasievoller Entfaltung, da jener
eine umfassendere Basis an Erfahrung, Kenntnis-
sen und Fähigkeiten voraussetzt als die des „nor-
malen“ Architekten.
Ein anderer allgemeiner Ansatz sei noch aufge-
führt, der in das denkmalpflegerische Konzept ein-
bezogen werden muß: Man war sich von Anfang an

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