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Das Rathaus in Duderstadt — Forschungen der Denkmalpflege in Niedersachsen, Band 6: Hameln: Verlag CW Niemeyer, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.57465#0206
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BEATRICE TROST

Neben der ornamentalen Dekoration gilt unser
Hauptaugenmerk den drei figürlichen Schnitzwer-
ken, ihrer Gestaltung und ihrem Programm. Nach
215 dem Ort seiner Aufstellung, dem nicht paarweisen
Auftreten, dem Geschlecht, der Front zur Treppe
hin und dem martialischen Äußeren setzt sich die
männliche Figur am Treppenantritt bewußt von
den beiden anderen ab. Den rechten Fuß vorge-
stellt, das linke Bein angewinkelt zurückgesetzt,
steht der Gerüstete in der Schulterpartie davon
völlig unberührt frontal. Der Kopf ist leicht nach
rechts gewandt, der Blick folgt dieser Richtung.
Während der rechte Arm angewinkelt ist und die
rechte Hand mit gekrümmten Fingern auf der
219 Brust ruht, hängt der linke Arm an der Seite herab,
und die Linke hat den inzwischen zerstörten Knauf
des Schwertes umgriffen. Das Schwert in der
Scheide ist Teil der Rüstung des Mannes im römi-
schen Stil. Es ist hinter dem Körper als Relief zur
rechten Seite der Figur geführt. Die Füße stecken in
222 Stulpenstiefeln, der körpernahe Brustpanzer über
dem kurzen Rock ist an Hals und Schultern orna-
mentverziert und mit einer Schärpe belegt. Auf den
kräftigen dunklen Locken sitzt ein schmucker
Helm mit Federbusch. Das Gesicht auf dem mus-
kulösen Hals bestimmt der lange Schnurrbart.
Große, kräftig modellierte Augenhöhlen, volle
Lippen und ein separiertes Kinn charakterisieren
die Züge. Die Nase bleibt bei diesem Aufmarsch


215 Treppe, Ansicht von Norden, Zustand nach der Restaurie-
rung 1988.


216 Treppe, Ansicht von Nordwesten, Zustand nach der Re-
staurierung 1988.

kriegerischer Präsenz erstaunlich zurückhaltend.
Um die Last des Bogens zusammen mit einer
Pfeilervorlage in ihrem Rücken tragen zu können,
neigt die Figur ihren Oberkörper zurück, was zu 217
einer unbeholfenen Profilansicht führt. Die Figur
ist für eine Ansicht schräg frontal konzipiert, auf
die der Besucher des Rathauses zuerst blickt.
Für eine Deutung der Figur hat man sich bisher
darauf beschränkt, sie als Krieger oder Ritter zu
bezeichnen5-1. Man muß im späten 17. Jahrhundert
jedoch davon ausgehen, daß die männliche Figur eine
programmatische Aussage darstellt. Die Plazierung
des Gerüsteten an der Rathauswand mit der Markt-
elle ehemals über Eck rückt sie in den Themen-
kreis der Stadt und der städtischen Rechte, wie z. B.
des Marktrechtes. In dieser Position trifft man im
südöstlichen Niedersachsen und weiter im nördli-
chen und östlichen Raum die Figur des Roland,
dessen populärstes Beispiel in Bremen die Wacht
hält6-*. In Nordhausen wird ein Roland an dem 1610
erbauten Rathaus aufgestellt, und in Bramstedt
zeigt sich der Paladin Karls des Großen 1693 als
Krieger in antikem Kostüm7\ Legen die genannten
Beispiele die Deutung des Duderstädter Kriegers
als Roland nahe, so sprechen gewichtige Argu-
mente dagegen. Die Rolandfiguren entstammen
mittelalterlicher Tradition, Figuren des 17. Jahr-
hunderts ersetzen zumeist ältere Bildwerke8-1.
In Duderstadt gibt es jedoch keine Rolandtradi-
tion, auf die sich die Rathausfigur berufen könnte.
Ferner hat ein Roland immer die Rechte erhoben9^.
Wenn er nicht das gezückte Schwert emporhält,
reckt er zumindest die Schwurhand10). Weder mit
dieser Geste noch mit dem Schild an seiner Linken
kann der Duderstädter Krieger aufwarten. Letzt-
endlich präsentieren sich Rolande immer als Ein-
zelfiguren. Wir hatten zwar bereits darauf hinge-
wiesen, daß sich die männliche Figur von den Frau-
enfiguren absetzt, doch sie bleibt mit ihnen in ei-
nem Ensemble, eng verbunden mit dem Rathaus.
Diese Nähe zu dem Bauwerk bringt uns in der
Deutung des Bildwerkes zu neuen Ergebnissen.

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