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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 4,1.1924

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Benoist-Méchin, Jacques: Nationalismus: an E.R. Curtius
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https://doi.org/10.11588/diglit.42396#0021
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Bereich das Kunstwerk entsteht, als mit seiner nationalen Wertung. Seitdem ist im
der Wertung des Kunstwerkes eine Verwirrung eingetreten, die ihren Höhepunkt
erreicht zu haben scheint und die meiner Meinung nach nur die Tendenz haben kann,
von jetzt ah wieder ahzunehmen. Ich werde versuchen, hier auf sie hinzuweisen, ob-
gleich ich wohl weiß, daß inan nicht daran denken kann, auf so beschränktem Raume
eine auch nur annähernd endgültige Lösung zu gehen.
III.
Das an der menschlichen Sensibilität teilnehmende Kunstwerk, mag es auch nicht in
jeder Beziehung zu der natürlichen Ordnung gehören, die es beherrscht, gleicht ihr
in höherem Maße als der mechanischen Ordnung. Man kann es also mit einem dieser
ersten Kategorie entnommenen, wie immer gearteten Objekt vergleichen, das der
menschlichen Aktivität tributpflichtig ist. Nehmen wir zum Beispiel den Wein. Er
wächst in einem besonderen Gehege unter einem besonderen Himmelsstrich und in
einer besonderen Gegend eines Landes. Und diese Tatsachen verbinden mit seinem
Namen einen eigenen Geschmack und eine wirkliche Echtheit. Trotzdem kann man
ihn in allen Ländern trinken und sich wohl schmecken lassen, wo man noch Ver-
gnügen an der Würze des gegorenen Saftes empfindet. Es genügt, daß seine Echtheit
durch das Aroma verbürgt wird, daß er von jeder Mischung frei ist und daß man jede
nach Kork schmeckende Flasche zurück weist. Setzen wir jetzt den Fall, ein Fabrikant
fälscht den Wein durch Zusatz von Wasser oder gar Parfüm. Wenn er auch hierbei
natürlich vorgibt, ihn zu verbessern, so ist doch in Wirklichkeit der Wert des Weins
herabgemindert. Er wird im allgemeinen nicht mehr genossen werden. Seine Reinheit
ist in Frage gestellt. Es ist nur eine mehr oder weniger minderwertige Ware. Mir
scheint, mit einer solchen Fälschung hat man es ebenfalls zu tun, wenn man in Dingen
der Kunst von einem nationalen Werke spricht. Es handelt sich ja nicht darum, die
Kunst zu veranlassen, in gewisse mit ihrem Ziel unvereinbare Kategorien einzutreten,
sondern ihr die Reinheit und jene strahlende Kraft zu erhalten, die mit jenem Zu-
sammenhänge eine Kraft, die mit dem zu vergleichen ist, was Poe in bezug aul die
Idee „efficiency“ nannte. Daher haben die Gedichte von Blake oder John Donne für
einen Deutschen mehr Wert als ein mittelmäßiges deutsches Werk; auch Hölderlin für
Frankreich höhere Bedeutung als Rostarid oder Catulle Mendes. Es versteht sich von
selbst, daß diese „efficiency“, dieser von mir betonte Zustand, der die Werke einfachen
Körpern vergleichbar macht, die hiernach geeignet sind, bis ins Unendliche zu strahlen,
dieser Charakter der Verdichtung, der Ideenkräfte1, die er bezeichnet, ein Wunder ist,
dem man nicht oft genug begegnet/’ Man kann also denken, daß schließlich einer der
Gründe dieser Kraft für das Werk darin besteht, daß es einzig ist: in der Natur haben
1 Teil nehme dieses Wort in seinem rein poetischen Sinn.
- Ich glaube sogar, daß es sich in seiner vollen Bedeutung nur zweimal findet, bei Novalis und Mallarme.

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